
240 Kilometer rennen: Am ersten Aargauer «Backyard Ultra» wird auf die Zähne gebissen, bis es nicht mehr geht
«Es gibt kein Ziel», steht auf dem Startbogen. Jede volle Stunde starten die Läuferinnen und Läufer in dieselbe Runde von exakt 6,706 Kilometern – und das machen sie so lange, bis nur noch eine Person übrig ist.
Dies ist das Prinzip des «Backyard Ultra», einem Ausscheidungsrennen aus den USA, das mittlerweile auch in der Schweiz angekommen ist. Seit Freitagnachmittag läuft in Oberwil-Lieli die erste Aargauer Ausgab
Dem Programm ist zu entnehmen, dass man sich auf eine lange Nacht einstellt. Mahlzeiten gibt es ab dem Start am Freitagmittag alle sechs Stunden bis am Samstagabend um 17.40 Uhr: Die Sportlerinnen und Sportler können sich auf Pasta mit Tomatensauce, Suppe mit Maultaschen, eine Frühstücksüberraschung, Pilzrisotto und zum Schluss auf Pizza freuen.
Der Rekord in der Ultra-Disziplin, aufgestellt diesen Juni vom Australier Phil Gore, liegt bei 119 «yards» (hier: Runden). Das entspricht einer Laufzeit von 4 Tagen und 23 Stunden und einer zurückgelegten Strecke von 798 Kilometern.

Bild: Saskia Rebsamen
Die Favoritin in Oberwil-Lieli heisst Lily Lu. Die Süddeutsche will 36 Runden rennen. Seit dem Saisonstart Anfang Jahr, erzählt sie, habe sie pro Monat durchschnittlich zwei Ultrarennen, also Läufe über der Marathondistanz, absolviert.
Ein Applaus-Glöckchen für persönliche Rekorde
Aber: «Alle sollen hier gefeiert werden. Auch eine Runde zu laufen, ist schon eine Leistung», stellt der Oberwil-Lieler Organisator Doron de Wolf klar. Ihm liegt der gemeinschaftliche Aspekt am Herzen. Dadurch, dass alle Teilnehmenden jede volle Stunde erneut zusammen losziehen und das Tempo gemächlich bleibt, kommt man leicht ins Gespräch. Zudem darf der Gewinner oder die Gewinnerin nur eine Runde mehr laufen als die zweitplatzierte Person. So gesehen ist ein Rekord in dieser Disziplin Teamarbeit. Und wer am «Helvetia Backyard Blitz» in Oberwil-Lieli seine oder ihre persönliche Bestdistanz übertrifft, soll im Startbereich ein Glöckchen läuten, um mit Jubel und Applaus überschüttet zu werden.

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Adrian Spicher, 50, aus Birmensdorf, der als Läufer mit dabei ist, betont ebenso: «Wir sind nicht als Gegner hier, sondern als Kameraden.» Ein solches Format sei nicht vergleichbar mit einem Strassenmarathon, an dem «die Leute mit den Augen auf dem Asphalt kleben» und für viele das oberste Credo Geschwindigkeit sei. «Hier geht es um eine andere Art der Tempoeinteilung», meint Spicher. «Es ist eine gute Übung, um die Herzfrequenz tief zu halten.»
Und doch sind seine Ziele hochgesteckt: «Heute einen Marathon zu laufen, wäre toll», sagt Spicher. Dafür müsste er sieben Runden absolvieren. Für andere ist die 24er-Marke ein Ziel. Denn die Rundendistanz ist so bemessen, dass, wer diese knackt, innerhalb von einem Tag genau hundert Meilen zurücklegt.
Die erste Runde von vielen ist geschafft
Hundert Meilen machen will auch Stefan Hilbert, 33, aus Zürich. Er ist mit seiner Frau und drei Kollegen hier, die ebenfalls mitmachen. Hilbert hat schon einmal an einem «Backyard Ultra» teilgenommen, damals musste er allerdings nach 15 Stunden verletzungsbedingt abbrechen.

Bild: Saskia Rebsamen
Die Fünfergruppe hat sich in der Waldhütte beim Startbereich fast schon häuslich eingerichtet. Sie haben Pasta, Reis, Bananenbrot, Kartoffelstock und ganz viele Snacks dabei, um sich zwischendurch verpflegen zu können. Dazu mussten sie warme Anziehsachen mitbringen, denn in der Nacht wird es kühl.
Auch Marina Stoop, 42, aus Hütten ist eine eingefleischte Ultra-Läuferin, die so schnell nicht aus dem Rennen ausscheiden wird. Erst vor zwei Wochen ist sie im Training 30-mal den Uetliberg rauf- und runtergejoggt, das entspricht 100 Kilometern und 8800 Höhenmetern. Nun geht es für sie schon wieder los auf eine vielleicht noch längere Strecke.

Bild: Saskia Rebsamen
Vierzig Minuten nach dem Start trudeln die Läuferinnen und Läufer unter kräftigem Applaus zum ersten Mal wieder im Ziel ein. Sie schieben sich Bananen und Riegel in den Mund, ziehen Jacken an und aus. Dann werden sie schon zur zweiten Runde gerufen. «So geht das jetzt jedes Mal», sagt Doron de Wolf. Wie viele Stunden noch, das hängt von den Läuferinnen und Läufern ab.