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Neurochirurg Fandino öffnete Schädel auf der falschen Seite: Der Arzt wird mit 10’000 Franken gebüsst – das KSA verwarnt

Seit heute Freitag ist klar: Es ist was dran an den Vorwürfen gegen das Kantonsspital Aarau (KSA) und gegen Javier Fandino, den ehemaligen Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie. Zu diesem Ergebnis kommt das Aufsichtsverfahren der kantonalen Abteilung Gesundheit.

Am Freitag teilte das Gesundheitsdepartement mit, einzelne Vorwürfe seien begründet. Bei Javier Fandino beanstandet die Abteilung Gesundheit die «unzulässige durchgehende Anwendung des Wirkstoffs 5-ALA bei operativen Eingriffen zur Entfernung von gutartigen Hirntumoren». Dies stehe im Widerspruch zur Praxis des Universitätsspitals Zürich und des Inselspitals Bern sowie zur wissenschaftlichen Literatur, welche die Anwendung von 5-ALA nur bei der Entfernung bösartiger Hirntumore als zulässig erachte.

Den Schädel auf der falschen Seite geöffnet

Weiter habe Javier Fandino infolge «mangelhafter Vorbereitung eines operativen Eingriffs» eine falsche Seite eines Schädels geöffnet, sodass im Zuge der Operation auch die andere Seite habe geöffnet werden müssen.

Sowohl die Seitenverwechslung als auch die durchgehende Anwendung von 5-ALA stellten eine Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst dar. Die Abteilung Gesundheit büsst den Neurochirurgen gestützt auf das Medizinalberufegesetz mit einer Busse von 10’000 Fragen wegen Nichteinhaltung der sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung sowie wegen Nichtwahren der Rechte der Patienten.

Mangelhafte Aufsicht durch die Spitalleitung

Die KSA-Führung, so das Gesundheitsdepartement weiter, habe bezogen auf diese beiden Beanstandungen die «spitalinterne Aufsichtspflicht mangelhaft wahrgenommen». Der Spitalleitung sei der durchgehende Einsatz des Wirkstoffs 5-ALA bekannt gewesen. Zudem habe sie die Öffnung einer falschen Schädelseite nicht weiterverfolgt.

Das Gesundheitsdepartement spricht als Konsequenz eine Verwarnung gegen das KSA aus und hält fest, das Spitalgesetz sehe keine andere Massnahme als die Verwarnung vor. Beiden Parteien wird zudem je eine Gebühr von 8000 Franken für die Verfahrenskosten auferlegt.

Entscheid können beim Regierungsrat angefochten werden

Die übrigen Vorwürfe gegen das KSA und Javier Fandino, beispielsweise der Vorwurf der unethischen Forschung oder der fehlenden Einwilligungen von Patientinnen und Patienten, hätten sich als «unbegründet» herausgestellt, «beziehungsweise betreffen Bereiche, für deren Beurteilung die Abteilung Gesundheit nicht zuständig ist», heisst es in der Mitteilung weiter.

Die Entscheide sind noch nicht rechtskräftig. Sowohl das KSA als auch Javier Fandino können sie mittels Beschwerde beim Regierungsrat anfechten.

Sowohl das KSA und Javier Fandino haben inzwischen Stellungnahmen zum Abschluss des Aufsichtsverfahrens verschickt.

Das KSA nimmt den Entscheid «mit Genugtuung» zur Kenntnis. Die Vorwürfe gegen das KSA hätten sich als «nicht stichhaltig erwiesen» und hätten mit Fakten widerlegt werden können. Lediglich in zwei Bereichen seien dem KSA Auflagen gemacht worden, «die beide direkt mit der früheren Tätigkeit eines mittlerweile ausgetretenen Chefarztes zusammenhängen». Das KSA habe bereits direkt nach dessen Weggang Massnahmen umgesetzt.

Die Substanz 5-ALA werde nach «State of the Art» angewendet und nicht durchgehend bei gutartigen Tumoren eingesetzt. Zur Verhinderung von Seitenverwechslungen werde im KSA grundsätzlich seit Jahren das zweistufige Sicherheitsverfahren angewendet. Dabei werde am Vortag gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten die Operationsseite markiert und vor der Operation ein Safety-Check durchgeführt.

Javier Fandinoteilt mit, die meisten Vorwürfe hätten sich «in Luft aufgelöst» und würden ihn entlasten. «Es gab keine unethische Forschung», hält er fest.

Dem Gesundheitsdepartement wirft er vor, es stelle die Ergebnisse in der Mitteilung «teilweise faktenwidrig» dar. Zur Seitenverwechslung während einer Schädeloperation hält er fest: «Wie das zuständige Department auf ein solches Ergebnis kommt, bleibt angesichts des Berichts und der Fakten völlig schleierhaft.» Es liege keine Seitenverwechslung vor. Aus der Einwilligung gehe klar hervor, dass der Patient an der rechten Seite operiert werden sollte – was nachweislich auch in einem ersten Schritt so erfolgt sei.

In Bezug auf die Verabreichung von 5-ALA hält er fest, dieses Kontrastmittel sei am KSA seit 2007 standardmässig im Einsatz – also lange bevor er 2011 Chefarzt geworden sei. «Ich habe weitergeführt, was bereits seit Jahren etabliert war.»

Zwei ehemalige KSA-Ärzte reichten Aufsichtsanzeige ein

Die Abklärungen haben über ein Jahr gedauert. Am 9. September 2020 informierte das Gesundheitsdepartement, dass gegen das KSA und den Neurochirurgen Javier Fandino ein Aufsichtsverfahren eingeleitet worden sei.

Andreas Huber war langjähriger Chefarzt und stellvertretender CEO im Kantonsspital Aarau.

Ausgelöst haben das Aufsichtsverfahren zwei ehemalige KSA-Ärzte. Nachdem sie beim Verwaltungsrat des Spitals mehrmals aufgelaufen waren, wandten sie sich mit einem Schreiben an Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati und erhoben schwere Vorwürfe gegen Javier Fandino und das KSA. Einer der ehemaligen Ärzte ist Andreas Huber. Als er 2018 pensioniert wurde, war er nicht nur Chefarzt Labormedizin, sondern auch stellvertretender CEO des grössten Aargauer Spitals.

Seit diesem Jahr operiert Fandino an der Hirslanden

Als das Aufsichtsverfahren im September 2020 eröffnet wurde, war Javier Fandino schon mehrere Monate nicht mehr am KSA tätig. Im April haben sich das Spital und der Neurochirurgie-Chefarzt Knall auf Fall getrennt. Über die Hintergründe der Trennung wurde Stillschweigen vereinbart. Das KSA betonte stets, Javier Fandino habe «ausgezeichnete Arbeit beim Aufbau der Klinik geleistet» und «wesentlich dazu beigetragen, was sie heute ist».

Seit diesem Jahr ist Javier Fandino Belegarzt an der Hirslanden Klinik in Aarau. Hirslanden hat ihn trotz den damals laufenden Aufsichtsverfahrens angestellt. Sprecher Philipp Lenz hielt gegenüber der AZ fest: «Hirslanden prüft jede Akkreditierung von neuen Belegärzten unter Einbezug aller verfügbaren Informationen genau.» In der Medienmitteilung hob Hirslanden seine Erfahrung und «umfangreiche wissenschaftliche Publikationsliste» hervor.

Javier Fandino selbst wies die erhobenen Vorwürfe zurück, noch bevor das Gesundheitsdepartement überhaupt angefangen hatte, sie zu untersuchen. Im September 2020 sagte er zur AZ:

«Ich habe nichts Unethisches gemacht. Alle meine Studien wurden von der Ethikkommission bewilligt und die Patientinnen und Patienten aufgeklärt.»

Auch KSA-Verwaltungspräsident Peter Suter sagte in der AZ, die erhobenen Vorwürfe seien «in dieser Form unzutreffend, haltlos und teilweise sogar absurd». Er bedauerte, «dass sich zwei in früheren Jahren verdiente und inzwischen pensionierte Mitarbeiter zu derartigen, auch in fachlicher Hinsicht fragwürdigen Unterstellungen haben hinreissen lassen».

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