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Bier-Sommelière Tabitha Zurbrügg: «Ich habe eigentlich gar kein Lieblingsbier»

Die Zofingerin Tabitha Zurbrügg hat die anspruchsvolle Ausbildung zur Bier-Sommelière erfolgreich abgeschlossen. Ein Gespräch zum Tag des Schweizer Bieres von morgen Freitag, 29. April, über die Ausbildung und ihre Leidenschaft für den Gerstensaft.

«Ich wollte schon immer in einer Bar arbeiten», sagt Tabitha Zurbrügg. Darum hat sich die damalige Kantischülerin mit 18 Jahren im «Goldenen Ochsen» beworben und eine Zusage für die ausgeschriebene Stelle erhalten. «In den vergangenen sechs Jahren habe ich dort viele Biersorten und -arten kennengelernt», sagt Zurbrügg. Sehr viele Biere. Denn der «Ochsen» ist ein Eldorado für Bierlieb­haberinnen und -liebhaber, führt er doch rund 500 verschiedene Biere in seinem Angebot. Ihr Nebenjob im «Ochsen» hat die 24-jährige wissenschaftliche Mitarbeiterin und Studentin der Theater- und Tanzwissenschaften sowie der Philosophie an der Universität Bern auch bewogen, eine Ausbildung zur Bier-Sommelière zu absolvieren. Eine anspruchsvolle Ausbildung, die sie vor kurzem mit Erfolg abgeschlossen hat.

Diese Ausbildung wird gemeinsam von Gastro Suisse und dem Schweizer Brauerei-Verband angeboten. Ein achttägiger Lehrgang, der seit 2011 angeboten wird, allen offensteht und sich einer grossen Beliebtheit erfreut. Zurbrügg ist nach dem ­erfolgreichen Abschluss des Lehrgangs eine von rund 600 Schweizer Bier-Sommelièren und Bier-Sommeliers.

Dabei musste sie sich ein grosses Wissen aus den unterschiedlichsten Themenfeldern rund um das beliebte Getränk aneignen. So unterschiedliche Themen wie die Bierherstellung, inklusive der Rohstoffe und deren Eigenschaften, der Biermarkt in der Schweiz und im Ausland, inklusive der verschiedenen Bierstile, die Bierpflege und Lagerung, Gläserkunde, die unterschiedlichen Gästetypen und deren Bedürfnisse, das Verkaufsgespräch, die Preiskalkulation im Restaurant, Bier-Marketing im Restaurant, das Erstellen einer Bierkarte, das Lebensmittelrecht und rechtliche Grundlagen zum Bierverkauf wurden vermittelt. «Und ab dem ersten Tag wurde immer wieder das Degustieren geübt», sagt Zurbrügg. Das ­Sensorische sollte ja eigentlich auch im Mittelpunkt stehen. Dazu gehöre auch das sogenannte Food-Pairing, also die Fähigkeit die passenden Biere zu den einzelnen Gängen eines Essens zu empfehlen.

Kein Lieblingsbier, aber immer offen für Neues

Und dann kommt die Frage aller Fragen. Ein herzliches Lachen füllt die Gaststube im «Ochsen». «Ich habe geahnt, dass die Frage nach meinem Lieblingsbier gestellt werden wird», sagt Zurbrügg und schüttelt den Kopf. «Ich habe eigentlich gar keines – aber viele Biere, die ich je nach Lust und Laune immer wieder gerne trinke.» Vor allem aber probiere sie gerne neue Biere, erst kürzlich zum Beispiel ein «Storchenbräu» aus Brittnau, dessen Kombination aus Sauerbier, Stout und Whisky alleine schon sehr spannend sei. Es sei interessant zu beobachten, wie viele neue Kreationen im Biersektor auf den Markt kommen.

Gross: Die Bier-Auswahl im Ochsen.
Thomas Fürst

Handwerklich hergestellte Biere boomen

Auch in der Schweiz und in der Region. Doch bis 1991 präsentierte sich der Biermarkt in der Schweiz wesentlich öder als heute. Das zwischen 1935 und 1991 bestehende Bierkartell erlaubte eine umfassende Regulierung des Biermarkts. Mit dem Ende des Bierkartells begann der Biermarkt dann quasi von ganz unten zu gären. Klein- und Kleinstbrauereien schossen wie Pilze aus dem Boden. Ende 2020 führte die Eidgenössische Zollverwaltung 1212 Brauereien – als solche gilt, wer mehr als 400 Liter Bier pro Jahr braut oder unabhängig von der Menge verkauft – in ihrem Verzeichnis auf. Zum Vergleich: 1990 waren es gerade einmal 32, 2010 doch schon 322.

Die meisten der registrierten Brauereien sind Mikrobrauereien, die handwerklich hergestellte Biere, sogenannte Craft-­Biere, brauen. 879 der 1212 registrierten Brauereien oder 72,5 Prozent gehören dieser Kategorie der Kleinstbrauereien an – sie produzieren weniger als 2000 Liter pro Jahr. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Kleiner Umsatz – grosse Vielfalt! Und die Vielfalt wird von Konsumentenseite her auch geschätzt. Der Anteil der Spezialitätenbiere ist in den letzten Jahren stark gewachsen – zwischen 2015 und 2020 um 43,2 Prozent. Mit diesem Wachstum kommen die Spezialitätenbiere 2020 auf einen Absatzanteil von 20 Prozent am Gesamtmarkt.

Zur Degustation gehört ein Glas

Wie degustiert man überhaupt ein Bier? Zurbrügg geht zum Kühler, greift nach längerem ­Zögern – die Auswahl ist nicht so einfach, wenn es kein Lieblingsbier gibt – nach einem schottischen Ale, ein 90 Percent Wee Heavy. «Ich habe nichts dagegen, wenn man ein Bier ab der Flasche trinkt», sagt sie schon fast entschuldigend und greift sich ein Glas. Ein bauchiges Glas, das sich zur Öffnung hin leicht verengt. Dann schenkt sie vorsichtig ein. Ein prüfender Blick auf die dunkle Farbe und den sich schnell verflüchtigenden Schaum, dann die Nase ins Glas, um die Aromen zu erriechen und kurz nach dem ersten Schluck folgt eine präzise Beurteilung: «Sehr malzig, eine feine Caramelnote, leicht alkoholisch, eine feine Bitterkeit im Nachtrunk, aber sehr schlank trotz starkem Alkoholgehalt – ich hätte mehr Körper erwartet. Dazu eine feine Süsse – ja, ein sehr gutes Bier», sagt sie und schiebt mit schelmischem Lächeln nach: «Aber nicht mein Lieblingsbier.» Das sei eigentlich das Coolste an der Ausbildung, sagt sie. «Ich weiss jetzt, wie man die Dinge benennt» – und das werde ihr in Zukunft bei der Beratung ihrer Gäste zugutekommen.

Ob wir uns schon bald auf ein «Tabitha-Bier» freuen dürfen? Zurbrügg winkt ab: «Das steht momentan ganz zuhinterst auf meiner To-do-Liste», sagt sie, ihr fehle noch viel Wissen im Brauprozess selber. Vorerst will sie sich weiterbilden. Gerade heute Abend nehme sie an einer privaten Degustation teil, an der Biere mit Off-Flavours, das sind Fehlaromen, ausgeschenkt werden. Und später könnte sie sich durchaus vorstellen, auch selber Bier-Degustationen zu leiten.