Sie sind hier: Home > Schweiz und Welt > Paradigmenwechsel: Für Organspende ist keine Zustimmung mehr notwendig

Paradigmenwechsel: Für Organspende ist keine Zustimmung mehr notwendig

Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll das neu festhalten müssen. Das hat das Stimmvolk entschieden. Es vollzieht dabei bei der Organspende einen Paradigmenwechsel.

Für eine Organspende soll künftig keine explizite Zustimmung mehr nötig sein. Die Schweizer Stimmbevölkerung hat sich am Sonntag deutlich für die Änderung des Transplantationsgesetzes ausgesprochen. Gemäss Hochrechnung von gfs.bern um 12.30 Uhr sagten 59 Prozent Ja.

Damit kommt es in der Schweiz zu einem Paradigmenwechsel bei der Organspende. Eine Spende kommt heute nur infrage, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten zugestimmt hat. Nun wird aus der Zustimmungs- eine Widerspruchslösung. Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll das neu festhalten müssen.

Nicht gerüttelt wird an den Voraussetzungen für eine Spende: Organe spenden können nur Personen, die im Spital einen Hirntod infolge Hirnschädigung oder Kreislauf-Stillstand erleiden. Verstirbt jemand zu Hause oder ausserhalb des Spitals, ist eine Organspende nicht möglich.

Recht auf körperliche Unversehrtheit

Zur Abstimmung gekommen ist es, weil ein Komitee das Referendum gegen das neue Gesetz erfolgreich ergriffen hat. Ein solch fundamentaler Paradigmenwechsel» solle nicht vollzogen werden, ohne das Volk hinzuzuziehen, argumentierte es. Die Gegner kritisieren, dass bei der neuen Regelung das Recht auf Unversehrtheit des Körpers speziell eingefordert werden müsse. Geschehe das nicht, würden «die Organe automatisch entnommen». Ihrer Ansicht nach verletzt das den Grundsatz der Selbstbestimmung.

Zu reden gab auch der Einbezug der Angehörigen in den Entscheid. Diesen hatten Bundesrat und Parlament im Gesetz eingebaut. Die Idee: Angehörige können auch in Zukunft eine Organspende ablehnen, wenn es dem Willen der verstorbenen Person entspricht. Um Unklarheiten zu verhindern, möchte der Bund alle Organspendeverweigerer in einem nationalen Register erfassen. Auch wer sich dafür ausspricht, soll dort registriert werden.

Die Gegner sahen diesen Aspekt ebenfalls kritisch. Angehörige müssten darlegen, warum die sterbende Person keine Organe spenden wollte. Das übe indirekt noch mehr Druck auf sie aus als bisher, argumentierten sie.

Handlungsbedarf unbestritten

Auslöser für die Gesetzesänderung ist die Initiative «Organspende fördern – Leben retten». Nachdem Bundesrat und Parlament einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet haben, zogen die Initianten ihr Volksbegehren zurück. Im Unterschied zum Gegenvorschlag hätte die Initiative die Widerspruchslösung enggefasst: Ist die Ablehnung der verstorbenen Person nicht dokumentiert, würde die Zustimmung zur Organentnahme auch ohne Anhörung der Angehörigen vorausgesetzt.

Unbestritten ist der Handlungsbedarf. Bei Organspenden gibt es eine lange Warteliste: Ende 2021 warteten hierzulande 1434 Menschen auf eine rettende Transplantation. Im Schnitt stehen jährlich aber nur Organe für 450 Transplantationen zur Verfügung. Die Wartezeit beträgt mehrere Monate, manchmal sogar Jahre. Im europäischen Vergleich ist Spenderate tief. Letztes Jahr starben 72 Menschen, die sich auf der Warteliste befanden.

Ob sich mit der Widerspruchslösung die Verfügbarkeit von Spendeorganen erhöht, wird von manchen Beobachtern bezweifelt. Einigkeit herrscht darüber, dass das heutige System unbefriedigend ist. Weil viele verstorbene Personen keine Willensäusserung bekunden, liegt die Verantwortung vielfach bei den Angehörigen. In dieser schwierigen Situation wird eine Spende in rund 60 Prozent der Fälle abgelehnt, obwohl die Spendebereitschaft der Bevölkerung gemäss Umfragen gross ist.

Schreiben Sie einen Kommentar