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Putin führt den Westen vor – sein Lieblingsopfer ist Deutschland

Russland drosselt die Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiter. Sorgen macht man sich besonders in Baden-Württemberg und Bayern.

Es gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel: Nur sechs Tage nach der Wiederaufnahme der Gasversorgung aus Russland durch die Pipeline Nord Stream 1 soll die Liefermenge halbiert werden. Der russische Konzern Gazprom will die Gasmenge an diesem Mittwoch von 40 Prozent auf 20 Prozent der maximalen Kapazität senken.

Es sollen dann nur noch 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch die wichtigste Versorgungsleitung nach Deutschland fliessen, teilte das Unternehmen mit. Grund sei die Reparatur einer weiteren Turbine, hiess es.

Kreml-Chef Wladimir Putin hatte in der vergangenen Woche gedroht, dass es um den 26. Juli herum zu einer weiteren Drosselung der Gaslieferungen über Nord Stream 1 kommen könnte. Er hatte dabei auf vom russischen Energieunternehmen verwendete Turbinen verwiesen. Demnach sei eine Drosselung möglich, wenn eine in Kanada reparierte Turbine nicht rechtzeitig wieder zur Verfügung stehe. Ausserdem werde die Reparatur eines «weiteren Aggregats» nötig, sagte Putin damals.

Verwirrspiel um die Gasturbine

Erst am Donnerstag waren die Gaslieferungen über die derzeit wichtigste Verbindung nach Deutschland für russisches Erdgas nach einer zehntägigen Routinewartung wieder aufgenommen worden. Schon im Juni hatte Gazprom die Lieferungen über die Pipeline auf 40 Prozent der Maximalkapazität gedrosselt und auf eine zur Reparatur nach Kanada verschickte Turbine verwiesen.

Die Turbine von Siemens Energy steckte wegen der westlichen Sanktionen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zunächst in Kanada fest. Inzwischen ist sie auf dem Rückweg von Kanada über Deutschland nach Russland. Unklar blieb, wo genau sie sich zuletzt befand.

Aus Sicht der deutschen Bundesregierung liefert die fehlende Turbine nur einen Vorwand für die gedrosselte Gaslieferung. Sie sei lediglich ein Ersatzteil, Russland könne auch ohne die Turbine mehr Gas liefern. Nach der jüngsten Ankündigung von Gazprom versicherte die Bundesregierung, nach ihren Informationen gebe es für die erneute Drosselung der Gasliefermenge keine technische Ursache.

Kurzfristig ist der Gasbedarf in Deutschland gedeckt. Längerfristig könnte es eng werden. Der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller warnte erst kürzlich: «Auch bei einem Niveau von 40 Prozent müssen wir erhebliche Anstrengungen unternehmen, um gut über den ersten Winter zu kommen.» Kommen nur noch 20 Prozent der Maximalkapazität aus der Pipeline, wird die Ersatzbeschaffung entsprechend dringlicher. Vor allem das Auffüllen der Gasspeicher könnte ein Problem werden.

Die Bundesregierung hat einen Speicherfüllstand von mindestens 95 Prozent zum 1. November als Ziel ausgegeben. Das sei unrealistisch, selbst wenn durch die Pipeline 40 Prozent der Lieferkapazität fliesse, sagte Müller am Montag bei einem Krisengipfel der baden-württembergischen Landesregierung. Im besten Fall seien 80 bis 85 Prozent möglich. Bleibt es bei der Halbierung der Gaslieferung, dürfte auch dieses Ziel nur schwer zu erreichen sein.

Grosse Ängste im Süden Deutschlands

Im reichen Süden Deutschlands werden bei einem Gasnotstand besonders harte Folgen für die Wirtschaft befürchtet. Die Industrie wolle wissen, ob der Süden bei einer Notfallverteilung von Gas gegenüber dem Norden benachteiligt werde, es seien «grosse Ängste» im Spiel, warnte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretsch­mann am Montag in Stuttgart beim Krisengipfel zur Gasversorgung. Der Grünen-Politiker will für den Fall vorbeugen, dass Russland seine Gaslieferungen weiter drosselt.

Kretschmanns bayerischer Amtskollege Markus Söder forderte die Bundesregierung auf, die Gasversorgung Bayerns und anderer Bundesländer aus dem österreichischen Speicher Haidach zu klären. Er reagierte damit auf die Ankündigung Österreichs, den auch für Bayern wichtigen Gasspeicher bei Salzburg möglichst bald auch mit dem österreichischen Netz zu verbinden.

Bayern und Baden-Württemberg liegen fernab der geplanten Terminals für Flüssigerdgas (LNG) und der grossen Speicher im Nordwesten. Die Terminals sollen dazu beitragen, die Bundesrepublik unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu machen.