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Körperliche Folter, sexuelle Gewalt und Zwangsarbeit: Das steht im UNO-Bericht, der Peking massiv unter Druck setzt

Ein lang erwarteter Report der UNO erhebt massive Vorwürfe gegenüber der chinesischen Regierung. Ihr Umgang mit den Uiguren in Xinjiang sei möglicherweise gar ein «Verbrechen gegen die Menschlichkeit».

12 Minuten bevor UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet ihr Amt niederlegte, veröffentlichte sie ihren bis dato am stärksten erwarteten Bericht. Auf 48 Seiten legt die 70-Jährige die «schwerwiegenden Menschenrechtsverbrechen» der chinesischen Regierung in Xinjiang dar, bei denen es sich möglicherweise gar um «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» handelt.

Dies wäre nicht nur eines der gravierendsten Vergehen unter dem Völkerrecht überhaupt, sondern nähme zwangsläufig auch die internationale Staatengemeinschaft in die Verantwortung.

Das schwerbewachte UNO-Quartier in Peking.
Mark R. Cristino / EPA

Die Anschuldigungen des Berichts sind massiv: Am detailliertesten geht der Report auf die politischen Umerziehungslager ein, in denen die chinesische Regierung in den letzten Jahren hunderttausende Angehörige der Uiguren, einem muslimischen Turkvolk, gesteckt hat. Der Bericht hält es für gesichert, dass «ein substanzieller Anteil der uigurischen Bevölkerung» Opfer einer willkürliche «Freiheitsberaubung» wurde. Zudem seien die Insassen laut Augenzeugenberichten «körperlicher Folter» und «sexueller Gewalt» und «Zwangsarbeit» ausgesetzt, was der UNO-Bericht ebenfalls als glaubhaft einstuft.

Ein Indiz für Zwangssterilisierung uigurischer Frauen

Nicht zuletzt wird auf die «stark eingebrochenen Geburtenraten» in mehreren Landkreisen Xinjiangs hingewiesen, die teilweise bis zu 50 Prozent betragen – laut Experten ein Indiz für Zwangssterilisierungen gegenüber der weiblichen Bevölkerung. Der Bericht spricht etwas zaghafter von «erzwungener Durchsetzung von Familienplanungsvorschriften».

Die Gretchen-Frage wird in dem Dokument jedoch nicht beantwortet, ja nicht einmal gestreift: Ob es sich bei den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang möglicherweise um einen Genozid handelt, wie einige westliche Regierungen behaupten. Die Anforderungen für diesen Strafbestand sind nahezu unmöglich zu dokumentieren, da es die nachweisliche Absicht voraussetzt, «eine Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten».

12 Minuten bevor sie ihr Amt niederlegte, publizierte UNO-Kommissarin Michelle Bachelet ihren brisanten Bericht.
Monirul Alam / EPA

Die Informationsgrundlage des Berichts bieten einerseits Interviews mit 40 betroffenen Uiguren, die zu Teilen in Internierungslagern eingesperrt waren. Gleichzeitig wurden mehrere Regierungsleaks ausgewertet, deren Echtheit zuvor ausgiebig überprüft wurde. Vor allem aber fusst ein grosser Teil der Datenlage auf offiziell zugänglichen Statistiken und Daten der chinesischen Regierung.

Dies lässt die Argumentation von Peking, dessen Staatsführung sämtliche Vorwürfe kategorisch und zur Gänze abstreitet, ganz besonders schwach erscheinen: Wie kann sie ein Dokument als «Farce westlicher Regierungen» abtun, wenn es doch massgeblich auf deren eigenen Fakten beruht?

Die UNO verleiht den bekannten Vorwürfen Glaubwürdigkeit

Der UNO-Bericht liefert natürlich keine neue Erkenntnisse, denn die Menschenrechtsverbrechen sind bereits detailliert von Forschern und investigativen Journalisten dokumentiert worden. Doch deren Bestätigung durch die Vereinten Nationen verleiht der Thematik nicht nur eine hohe Medienöffentlichkeit, sondern auch eine wesentlich weitreichendere Glaubwürdigkeit.

Generell ist der UNO-Bericht in seiner Sprache zaghaft und in seinen Rückschlüssen konservativ gehalten. Vielen internationalen Menschenrechtsanwälten geht das Dokument dementsprechend nicht weit genug. Die Menschenrechtsanwältin Emma Reilly kritisiert auf Twitter: «Keine Erwähnung über einen Genozid, kein Analyseversuch, ob die Behandlung der Uiguren dieses Kriterium erfüllen würde.»

Insgesamt jedoch fand das Dokument bei den meisten internationalen Experten Anklang. Der deutsche Forscher Adrian Zenz, der in den letzten Jahren wie kein zweiter mit seinen Studien die Umerziehungslager in Xinjiang dokumentiert hat, meint:

«Zwar ist der Bericht nicht perfekt und viele Beweise wurden nicht verwendet. Dennoch wird er eine starke Grundlage dafür bieten, Peking zur Rechenschaft zu ziehen.»

Human Rights Watch bezeichnete den Bericht zudem als «wegweisend» und forderte eine offizielle Präsentation vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf.

Ob es dazu kommt, ist aufgrund des chinesischen Machteinflusses fraglich. Peking hatte bereits im Vorfeld massiv Druck auf die chilenische UNO-Kommissarin Bachelet ausgeübt, von einer Publikation abzusehen. Dafür mobilisierte die chinesische Regierung in einem Brief insgesamt 40 Staaten, die jenes Anliegen ebenfalls unterschrieben haben.

Das Einknicken der UNO-Kommissarin

In der Tat ist Bachelet in der Vergangenheit mehrfach gegenüber Pekings Forderungen eingeknickt. So stimmte sie einem hoch-orchestrierten Xinjiang-Besuch im Mai zu, um im Gegenzug den bereits fertigen UNO-Bericht etliche Monate zu verschieben. Während ihrer China-Reise liess sich die Expertin zudem vom Propagandaspiel der Kommunistischen Partei einspannen und bezeichnete während einer extrem befremdlichen Pressekonferenz die politischen Umerziehungslager als «Ausbildungszentren».

Die Befürchtung, dass die UNO-Vertreterin ihr Amt nachhaltig beschädigt hat, erwiesen sich jedoch rückblickend als unbegründet. Es gibt in dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht nämlich keinerlei Hinweise darauf, dass Peking mit seiner Druckausübung die Substanz des Dokuments verwässern konnte.

Ob die Publikation weitreichende Konsequenzen haben wird, bleibt offen. Die UNO forderte bereits, dass China sämtliche Opfer der willkürlichen Freiheitsberaubung und anderer Menschenrechtsverbrechen finanziell entschädigt. Zudem sollen sämtliche Staaten keine Uiguren oder Angehörige anderer muslimischer Minderheiten mehr nach China abschieben. Nicht zuletzt wird der Bericht wohl auch als Grundlage für Regierungen dienen, einzelne chinesische Regierungsvertreter und Unternehmen mit wirtschaftlichen Sanktionen zu belegen.

Dass sich Chinas Staatsführung allerdings inhaltlich auf die Kritik einlässt, gilt als nahezu ausgeschlossen. Parteichef Xi Jinping steht derzeit vor der wichtigsten Herausforderung seiner politischen Laufbahn: Mitte Oktober wird der 69-Jährige inmitten einer handfesten Wirtschaftskrise seine umstrittene dritte Amtszeit verkünden – und auf den Bericht der UNO wohl zweigleisig reagieren.

Einerseits wird der Zensurapparat dafür sorgen, dass die Anschuldigungen nicht ihren Weg in die chinesische Öffentlichkeit finden. Und gleichzeitig wird Xi die Nationalismus-Karte weiter ausspielen – und das Narrativ etablieren, dass China nur das Opfer eines feindlich gesinnten Westens unter Führung Washingtons ist, welcher die Volksrepublik am rechtmässigen Aufstieg zur Weltmacht hindert.