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Kein Systemwechsel, aber: Der Kanton geht bei den Kitas über die Bücher

Bei der Finanzierung der externen Kinderbetreuung bleibt alles beim Alten. Zumindest vorerst. Der Grosse Rat hat aber die Forderung für ein neues Modell als Prüfungsauftrag überwiesen. Nur die SVP hat dagegen gestimmt.

Grossrätinnen und Grossräte aller Fraktionen, ausser der SVP, wollen die familienergänzende Kinderbetreuung umkrempeln: Kanton, Gemeinden und ­Familien sollen je einen Drittel der Kosten übernehmen, forderten sie. Am Dienstag stand das Geschäft auf der Traktandenliste des Grossen Rats. Die Diskussion nahm einen guten Teil der Nachmittagssitzung in Beschlag, die Meinungen gingen weit auseinander.

Am Schluss wurde das Geschäft abgeschwächt, als Postulat mit 83 Ja- zu 46-Nein-Stimmen überwiesen. Das war im Sinne des Regierungsrats, der die Motion ablehnte: Einerseits aus Kostengründen, andererseits weil bereits eine Untersuchung zur familienergänzenden Kinderbetreuung im Aargau läuft. Bis in einem Jahr erwartet die Regierung die Ergebnisse.

All die Forderungen aus der Motion werde man dann prüfen, stellte Sozialdirektor Jean-Pierre Gallati in Aussicht. Ausser der Aufteilung der Kosten verlangten die Motionärinnen und Motionäre auch, dass Praktika in Kindertagesstätten nur noch angeboten werden, wenn auch Aussicht auf eine Lehrstelle im Betrieb besteht.

Regierungsrat Jean-Pierre Gallati.
Severin Bigler

Die Motionärinnen und Motionäre wollten aber an der Motion festhalten. Die Kosten, welche auf Kanton und Gemeinden mit dem neuen Modell zukommen würden, seien lediglich ­Prognosen, sagte Sprecherin Karin Faes (FDP). Tatsächlich gehe täglich durch nicht geleistete Arbeit viel Geld verlustig, gleichzeitig sei der Fachkräftemangel auf Platz eins des Sorgenbarometers im Aargauer Gewerbe. «Dagegen gibt es aber ein einfaches Mittel, wenn man denn will», meinte sie. Das wäre eine besser zugängliche Kinderbetreuung.

May Bally (links) und Karin Faes haben die Motion eingereicht.
zvg

Betroffenheitsvorwurf an FDP und Mitte

«Nur von unseren eigenen, vorhandenen Ressourcen sprechen wir fast nie, nämlich von unseren gut ausgebildeten Frauen», sagte Alfons P. Kaufmann (Die Mitte). Faes ist Präsidentin der Trägerschaft einer Kita. Auch Kaufmann hat in seinem Unternehmen eine Krippe. Ob man denn einfach die Kitas besser füllen wolle, fragte Maya Meier (SVP). Anders könne sie sich die Haltung der Freisinnigen nicht erklären. Wer sich auskenne, wisse, dass Kitas kaum je kostendeckend betrieben werden können, die Nachfrage übersteige das Angebot an vorhandenen Plätzen trotzdem, entgegnete Karin Faes.

Fragt sich, ob die Freisinnigen mehr Plätze in der Kita füllen wollen: Maya Meier (SVP).
Claudio Thoma

Die SVP aber blieb hart. Auch als Postulat, das ein Prüfungsauftrag an die Regierung ist, wollte sie den Vorstoss nicht überweisen. Sie sehe das Problem nicht, sagte Maya Meier für die Fraktion. In praktisch jeder Landgemeinde gebe es heute eine Kita. «Wer dort sein Kind betreuen lassen will, hat die Möglichkeit. Andere wollen das nicht», so Meier, die drei Kinder im Alter zwischen einem und sieben Jahren hat. So sei es ihr ergangen, ohne Zwang habe sie zwischendurch darauf verzichtet, zu arbeiten. Gegenüber Familien, die sich Krippenplätze subventionieren lassen, würden aber jene, die ihre Kinder daheim selber betreuen, finanziell diskriminiert.

Selte Methode bei den Gemeindeammännern

Auch die Gemeinden wollen kein neues System in der familienergänzenden Kinderbetreuung, wie Patrick Gosteli (SVP), Präsident der Gemeindeammännervereinigung (GAV), ausführte. Die GAV war im Vorfeld der Debatte mit einem Brief an die Grossrätinnen und Grossräte gelangt und bat eindringlich darum, die Motion abzulehnen – mit der gleichen Argumentation wie der Regierungsrat.

Die GrossrätInnen tagen am 22.06.21 voraussichtlich das letzte Mal in der Umweltarena Spreitenbach. Auf dem Bild: Patrick Gosteli, Grossrat SVP. Aufgenommen am 22.06.2021
Britta Gut

Zu diesem Mittel greife man selten, jetzt sei es aber nötig, so Gosteli. Die zusätzlichen Kosten könnten sich die Gemeinden nicht leisten. Weiter leuchte es nicht ein, warum sie ihre Autonomie in der externen Kinderbetreuung aufgeben sollten. Gosteli sollte am Schluss der einzige SVPler sein, der das Geschäft immerhin als Postulat ­überwies. Damit könne man leben, meinte er.

Unterstützung vom Frauendachverband

Doch auch die andere Seite hatte Unterstützung. Die Baselbieter Ständerätin Maya Graf (Grüne) sowie Nationalrätin Kathrin Bertschy (GLP, Bern) appellierten im Namen des Frauenorganisationsverbands «Alliance F» ebenfalls an die Aargauer Parlamentsmitglieder. Der Handlungsbedarf sei offensichtlich, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei die familienergänzende Kinderbetreuung zentral, schrieben sie.

Maya Bally (Die Mitte) zeigte auf, warum ein flächendeckendes, gleichwertiges Angebot wichtig und eine einheitliche Finanzierung zwingend wäre. «Es ist nicht fair, die Chancengerechtigkeit wird mit Füssen getreten», sagte sie. Viel zu stark hänge die finanzielle Unterstützung für die Kinderbetreuung vom Wohnort ab. Dabei müsse sie eine Verbundaufgabe von Bund, Kanton und Gemeinden sein.

Es könne aber nicht sein, dass Eltern dann ihre Kinder auf Kosten von Kanton und Gemeinden betreuen lassen, derweil aber Golf spielen und ihre Freizeit geniessen, fand Christoph ­Hagenbuch (SVP).

Hat Angst, dass viele Eltern ihre Kinder in die Kita geben und dann selbst Zeit auf dem Golfplatz verbringen: Christoph Hagenbuch.
Michael Würtenberg

Uneins war sich die SP. Zwar unterstützte sie das Postulat einstimmig, nicht geklärt sei aber, wie Familien mit sehr tiefem Einkommen unterstützt werden könnten, sagte Simona Brizzi. Auch das soll sich jetzt, mit Überweisung des Postulats, klären.