«Neutralität ist auch manchmal unangenehm»: Ständerat will das Kriegsmaterialgesetz nicht lockern
Eine knappe Mehrheit der Ständeratsmitglieder erteilt dem FDP-Fraktionschef Thierry Burkart eine Absage: Sie wollen das Kriegsmaterialgesetz nicht lockern. Sie haben mit 23 zu 18 Stimmen bei 2 Enthaltungen Burkarts Motion abgelehnt, die es anderen Staaten erlaubt hätte, Kriegsmaterial aus Schweizer Produktion an die Ukraine weiterzugeben.
Über zwei Stunden hat die Diskussion gedauert, ganze 16 Ständeratsmitglieder haben sich zu Wort gemeldet. In langen Voten haben sie historische Fakten bemüht, das frühere Abstimmungsverhalten von Ratskollegen kritisiert; es ist um die Guten Dienste gegangen, um die Vermittlerrolle der Schweiz und darum, wie flexibel Neutralität ist und sein sollte. Es war erst das sechste von 16 Geschäften, über die der Ständerat am Montagnachmittag hätte entscheiden sollen, aber es dauerte fast bis zum Ende der Sitzung.
SVP, SP und Grüne stimmten geschlossen gegen die Motion bei einer Enthaltung. Die FDP stimmte geschlossen dafür – ebenfalls mit einer Enthaltung. Das Zünglein an der Waage war, wie so oft, die Mitte: Sieben ihrer Ständeratsmitglieder stimmten für, sechs gegen die Motion. Damit ist Burkarts Motion vom Tisch.
Darin hatte der Aargauer FDP-Ständerat verlangt, dass die Schweiz auf die Nichtwiederausfuhrerklärung verzichte, «wenn die Lieferung an Staaten erfolgt, die unseren Werten verpflichtet sind und über ein Exportkontrollregime verfügen, das dem unseren vergleichbar ist».
Auf den internationalen Druck reagieren
Wichtiger als die Details der Motion wäre für Thierry Burkart das Zeichen gewesen, das der Ständerat mit diesem Beschluss der westlichen Welt hätte senden können. Seine Motion sei nicht das «Gelbe vom Ei», wie er im Rat einräumte. Das seien die vielen anderen Kriegsmaterialgesetz-Vorstösse aber wohl auch nicht, die das Parlament seit Anfang Jahr hervorgebracht hat. Viel wichtiger wäre für ihn gewesen, jetzt auf den Druck aus dem Ausland zu reagieren.
«Die Welt versteht zwar, dass wir neutral sind und direkt keine Waffen an ein kriegführendes Land liefern dürfen», sagte Burkart vor dem Ständeratsbeschluss gegenüber dieser Zeitung. «Was die Welt aber nicht versteht: dass wir Drittländern verbieten, von uns gekaufte Waffen weiterzugeben.»
Es sei an der Zeit, das Problem in die Verantwortung des Bundesrats zu übergeben, sagte Burkart im Rat. Die Detaildebatte hätte er gerne auf den später folgenden Gesetzgebungsprozess verschoben. Zur Seite gesprungen ist ihm unter anderen der Mitte-Ständerat Benedikt Würth: «Wir hören seit Wochen, was nicht geht, jetzt würde ich gerne mal hören, was geht», sagte er an die Ständeratsmitglieder gewandt, die sich gegen die Motion ausgesprochen hatten. Der Krieg sei eine neue Ausgangslage, da gelte es, die Neutralität als aussen- und sicherheitspolitisches Instrument anzupassen, wie das auch bei der Übernahme der EU-Sanktionen der Fall gewesen sei.
Eine «Lex Rüstungsindustrie»
Das sahen andere Räte diametral anders. Etwa SP-Ständerat Daniel Jositsch, der sagte, es gelte, Neutralität auch im Kriegsfall auszuhalten, auch wenn sie dem Aggressor helfe: «Neutralität ist auch manchmal unangenehm.» Es sei nicht glaubwürdig, die Neutralität der Schweiz ad hoc immer wieder anzupassen.
Burkart wurde vorgeworfen, es gehe ihm mit seiner Motion weniger um die Ukraine und eher um die Rüstungsindustrie. Er wolle die solidarische Stimmung der Ukraine gegenüber ausnutzen, um das Kriegsmaterialgesetz zu verwässern. Der grüne Ständerat Mathias Zopfi sprach gar von einer «Lex Rüstungsindustrie». SVP-Ständerat Thomas Minder hatte hingegen mehr Verständnis für die Idee, die Rüstungsindustrie stärken zu wollen. Dafür müsse auch eine Lösung her, fand er, aber nicht während eines laufenden Kriegs. Viel wichtiger sei momentan, dass die Schweiz ihre Vermittlerrolle wahre.
Das war also der Todesstoss für Thierry Burkarts Motion. Doch das Thema ist damit noch nicht vom Tisch: Schon am Mittwoch diskutiert der Nationalrat über einen anderen Vorstoss, der die Weitergabe von Kriegsmaterial unter bestimmten Voraussetzungen erlauben will.