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Vater und Sohn haben gemeinsam Postfiliale in Murgenthal überfallen – Kundin: «Ich hatte Todesangst»

2019 hat ein bewaffneter Mann eine Postfiliale überfallen, draussen im Auto wartete sein Sohn. Was genau dessen Rolle war, war vor Gericht umstritten. Sein Vater erklärte, dieser sei lediglich zur seelischen Unterstützung dagewesen.

Die Postmitarbeiterin war gerade im Gespräch mit einer Kundin, einer Kollegin, die sie aus einem Verein kennt. Da stürmte ein Mann in dunkler Kleidung und Skimaske hinein, mit einer Pistole in der Hand, und rief laut «Überfall!». «Wäre ich alleine gewesen, ich hätte ihm kein Geld gegeben. Ich war ja hinter der Scheibe und hätte ihn in der Schalterhalle bis zum Eintreffen der Polizei einsperren können», sagt die Postangestellte vor Gericht.

Doch da war ihre Kollegin, die vor dem bewaffneten Räuber kniete, mit der Pistole im Nacken. «Geld! Oder ich mache Frau tot», soll der Mann geschrien haben – das gebrochene Deutsch diente dabei nur zur Tarnung. «Ich hatte solche Angst um meine Kollegin, ich musste daran denken, dass sie eine Tochter hat», erzählt die Beamtin, und ihre Stimme zittert.

Auch besagte Kundin hat noch nicht vollends verarbeitet, was damals geschehen war. «Ich hatte Todesangst», beschreibt sie die Situation. Dass der Täter nur eine Softair-Pistole bei sich hatte, wusste sie damals nicht. Der Mann in Skimaske legte einen Stoffbeutel auf den Schalter, den die Postmitarbeiterin mit Noten füllte, am Ende warf sie auch noch ein paar Münzrollen hinein. 8872.50 Franken insgesamt. Dann ergriff der Täter die Flucht, verlor unterwegs das Magazin seiner Waffe, hob es auf und sprang in das Auto, das vor der Filiale parkiert war.

War der Sohn nur die seelische Unterstützung?

Ob er auf der Fahrer- oder der Beifahrerseite eingestiegen war, darüber machten die Zeuginnen unterschiedliche Angaben. Für das Gericht war das relevant, weil ein zweiter Mann am Überfall beteiligt war: der Sohn des Beschuldigten. In seiner ersten Einvernahme hatte dieser sogar ausgesagt, er sei selber in die Postfiliale gestürmt. Er habe seinen Vater schützen wollen, sagte er vor dem Bezirksgericht Zofingen. «Ich bin 26 Jahre alt, was macht es schon, wenn ich ein paar Jahre verschwinde.»

Doch als er von der Polizei gefragt wurde, welcher der Schalter denn offen gewesen sei, da kam er bereits ins Schleudern, und irgendwann brach das Lügengebilde zusammen. Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, er habe das Fluchtauto gefahren und sei damit Mittäter. Doch Vater und Sohn beharren darauf, er habe lediglich auf dem Beifahrersitz gesessen. «Ich konnte das alleine nicht. Er sollte nichts machen, einfach nur da sein», erklärt der Vater.

Mit der Beute zahlte der Vater Mietrückstände

Der geschilderte Postraub geschah am 18. April 2019 in Murgenthal. Am 14. Juli überfiel der Vater dann in ähnlicher Art und Weise die Postfiliale in Lenzburg – diesmal alleine. «Warum haben Sie das gemacht?», will Gerichtspräsident Thomas Meier wissen. «Ich bin in jungen Jahren auf die schiefe Bahn geraten», erklärt der Vater. Er habe Geld bei einem Clan aufgenommen – Details will er nicht nennen, aus Angst vor diesen Leuten.

Die Beute aus dem ersten Postraub verwendete er, um Mietrückstände auszugleichen und eine Kaution zu hinterlegen. Das Geld aus dem zweiten Überfall habe er dem Clan übergeben. «Die Tat musste ich machen, damit ich aussteigen konnte, quasi als Abschluss. Damit sie auch etwas gegen mich in der Hand haben.»

Staatsanwalt glaubt nicht an einen Clan

Der Staatsanwalt will das nicht glauben. Es gebe keinen Beweis für die Existenz eines solchen Clans, der Beschuldigte habe die Post überfallen, um an Geld zu kommen, weil er nicht mehr gewusst habe, wie er seine Schulden begleichen soll. «Er stand mit dem Rücken zur Wand», erklärt der Staatsanwalt.

Der Verteidiger sagte: «Sein Lohn wird seit 20 Jahren gepfändet, er hatte praktisch sein ganzes Leben hohe Schulden.» Sein Mandant sei sehr wohl mit dem Rücken zur Wand gestanden, aber wegen des Clans.

Grosse Uneinigkeit herrscht auch bei der Strafzumessung: Die Staatsanwaltschaft fordert für den Vater eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 2 Monaten und eine Busse von 1000 Franken. Neben räuberischer Erpressung wirft sie ihm diverse Strassenverkehrsdelikte vor, weil er immer wieder Nummernschilder von anderen Autos an sein eigenes montiert hat. «Ich konnte mir nicht leisten, mein Auto einzulösen», erklärt der Beschuldigte.

Verteidigerin will für den Sohn eine bedingte Geldstrafe

Sein Verteidiger erklärt, der Mann habe vor dem Raub lediglich einmal Esswaren aus dem Coop geklaut, sonst habe er nebst den Strassenverkehrsdelikten keine Vorstrafen. «Ein anständiger Mann in einer verzweifelten Lage.» Die Strafzumessung der Staatsanwaltschaft wirke fast schon willkürlich und sei vollkommen überrissen. Für den geständigen Täter seien 19 Monate Freiheitsstrafe und eine Busse von 600 Franken angemessen.

Für den Sohn fordert der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 10 Monaten plus eine Busse von 300 Franken. Dessen Verteidigerin betont, dass ihr Mandant geständig sei und, genau wie der Vater, tiefe Reue zeige. Er habe einen Job und arbeite hart daran, sein Leben in den Griff zu kriegen. Sie fordert eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 60 Franken, bei einer Probezeit von fünf Jahren, und eine Busse von 1000 Franken – eine Freiheitsstrafe sei nicht angemessen.

Das Gericht fällt das Urteil einstimmig. Der Vater wird wegen räuberischer Erpressung, Drohung, Hausfriedensbruch und weiteren Delikten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und einer Busse von 600 Franken verurteilt. Der Sohn kassiert eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 2,5 Jahren teilbedingt, davon sechs Monate unbedingt. Dazu kommt eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 60 Franken. Aufgrund unterschiedlicher Aussagen sei nicht erstellt, dass der Sohn das Fluchtauto tatsächlich gefahren habe.