
«Es ist genug Heu unten»: Nationalrat will Urner Dörfer vor Ausweichverkehr schützen
Geduld ist nicht mehr bloss an Ostern und anderen Feiertagen gefragt, vielmehr stehen die Autos an den meisten Wochenenden von Mitte März bis Mitte Oktober Schlange: Die Blechlawine am Gotthardstrassentunnel wird zum Dauerzustand. Verantwortlich dafür ist primär der Freizeit- und Ferienverkehr. Noch ist die Gotthardpassstrasse gesperrt. Wird sie von den Schneemassen befreit und für den Verkehr freigegeben, lindert das den Druck auf die Autobahn. Dafür droht mehr Ausweichverkehr auf der Kantonsstrasse.
Dieser Ausweichverkehr bereitet Simon Stadler Kopfzerbrechen. Es sei jetzt «genug Heu unten», sagte der Urner Mitte-Nationalrat am Dienstag im Parlament. Er verwies auf Frauen, die ihren Garten mit Gehörschutz pflegen. Auf genervte Autofahrer, die gegenüber Verkehrsreglern handgreiflich werden. Auf eine Person, die einmal von einem Auto mitgeschleift worden sei. Oder auf Blaulichtorganisationen, die in der Schlange stecken bleiben.
Der Nationalrat behandelte deswegen drei Vorstösse zur Entlastung der verkehrsgeplagten Bevölkerung an den Alpenübergängen:
In einerStandesinitiativefordert der Kanton Uri, das Verkehrsaufkommen auf der Gotthardachse besser zu steuern.
Kantone auf den Nord-Süd-Transitachsen sollen in besonders prekären Situationen betroffene kantonale Durchgangsstrassen temporär sperren können, ausser für Einheimische und den Zubringerverkehr. Das fordert die Verkehrskommission des Nationalrats in einerMotion. Durchgangsstrassen sind wichtige Verbindungswege. Sie stellen sicher, dass alle Regionen des Landes erreichbar bleiben.
Die nationalrätliche Verkehrskommission verlangt sodann, dass Betreiber von Navigationsgeräten verpflichtet werden, vorübergehend gesperrte Hauptstrassen abzubilden, um Autofahrerinnen und -fahrer nicht auf verbarrikadierte Wege zu lotsen. Strassen, die nicht als Durchgangsstrassen gelten, können Kantone und Gemeinden bei Stau nämlich zwischenzeitlich in Eigenregie schliessen.
Zuerst kassierte Simon Stadler, Wortführer im Kampf gegen den Ausweichverkehr, einen Dämpfer. Wie bereits der Ständerat wischte auch der Nationalrat die Standesinitiative vom Tisch. Im Ständerat hatten sogar die beiden Urner Stimmen, Josef Dittli (FDP) und Heidi Z’graggen (Mitte), dagegen votiert. Sie sahen viele Forderungen bereits erfüllt. Dank Massnahmen sei die Situation spürbar besser als früher, hielt Dittli fest. Der Ausweichverkehr sei massiv gedrosselt worden. Mit dem Stau auf der Autobahn, so Dittli, könnten die Urner leben.
Bewährt hat sich die Massnahme: Je mehr Einfahrten gesperrt werden, desto länger wird die Kolonne. Das Ausbrechen auf die Kantonsstrasse lohnt sich damit nicht mehr.
Stadler beurteilt die Lage zum Ausweichverkehr dezidiert anders als Dittli. Die Kantonsstrassen seien immer wieder massiv überlastet.
Trotz abgelehnter Standesinitiative zählte der Mitte-Nationalrat am Ende der Debatte zu den Siegern: Die beiden anderen Vorstösse hiess der Nationalrat gut, und zwar gegen den Willen des Bundesrats.
Rösti lehnte Sonderregeln für Alpenübergänge ab
Nationalrat Benjamin Giezendanner (SVP, AG) warnte bezüglich der Durchgangsstrassensperre vor einem Präjudiz: dass dereinst andere Strecken, etwa zwischen Zofingen und Olten, auf denen täglich viel mehr Fahrzeuge durchbrettern als durchs Urner Reusstal, abgeriegelt werden könnten. Bei einem solchen Szenario drohe ein Verkehrsinfarkt. Der Verkehrspolitiker entgegnete Stadler, dass man auch in Liestal oder Muttenz jemanden finden würde, der Gartenarbeit mit Gehörschutz verrichtet.
Bundesrat Albert Rösti wies derweil darauf hin, dass Kantone schon heute Durchgangsstrassen temporär schliessen können, allerdings in Absprache mit dem Bund. Die Positionen lägen gar nicht weit auseinander. Er wehrte sich aber gegen die Idee, für die Alpenverbindungen Sonderregeln zu schaffen.
Rösti gab zu bedenken, die Schweiz könne ihr Recht gegenüber Betreibern aus dem Ausland gar nicht durchsetzen. Doch letztlich stemmte sich der Verkehrsminister vergeblich gegen die Navi-Motion.