
Ausschluss von Israel: «Liebe*r Nemo, das ist zu einfach gedacht»
Liebe*r Nemo
Ja, Künstler sollen sich auch zur aktuellen Weltlage äussern, gerne auch politisch. Nemo, Ihre Meinung interessiert. Sie haben einen anderen Zugang zu unserer Welt als Politiker und Wirtschaftsführer. Ihre Stimme soll Gehör finden. Künstlerinnen und Intellektuelle haben uns schon oft weitergebracht, indem sie andere Sichtweisen ermöglicht haben. Dieses kreative Moment ist die Triebfeder des geistigen Fortschritts.
Ihre Meinung zum Nahostkonflikt interessiert uns. Doch Sie schliessen sich einfach der Forderung an, Israel aus dem ESC auszusperren. Das scheint mir eines Nemos unwürdig zu sein. Denn wie sagte jüngst Benjamin Alasu, einer der Komponisten Ihres Siegersongs in unserer Zeitung? «Ich kenne keine Person, die so unkonventionell und kreativ denkt.»
Ja, der Gaza-Krieg generiert unvorstellbares Leid. Ja, die Regierung von Benjamin Netanyahu agiert nicht souverän. Doch die Schwarz-weiss-Denke, der Sie folgen, ist mindestens zwei Ticks zu einfach. Mit diesem Muster hätten Sie weder den Code gebrochen, noch den ESC-Titel gewonnen. Lassen Sie uns festhalten: Israel ist das Opfer eines grauenhaften Massakers geworden, und natürlich hat das Land auch alles Recht, sich zu verteidigen. Das unerwähnt zu lassen, ist wie ein Song ohne Beat, wie eine Melodie ohne Rhythmus. Es fehlt mindestens die Hälfte.
Nemo, in der Musik vereinen Sie Drum’n’Bass und Operngesang zu noch nie Gehörtem. Natürlich erwarten wir nicht, dass Sie «The Code» haben für den Nahostkonflikt. Aber wie wäre es mit einer Idee dazu? Sie braucht auch nicht realistisch zu sein. Künstler dürfen träumen.n n Liebe Grüsse,
Raffael Schuppisser