
Die Kriegsschlaufe: Ein nützliches Relikt des Weltkrieges
Serie zum Zweiten Weltkrieg
Es ist 80 Jahre her: Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa durch die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reichs. Diese Zeitung beleuchtet Kriegswirren und Kriegsende im Aargau und an seiner Grenze mit einer Serie von Beiträgen. (az)
Während Jahrzehnten rotteten die Bahnanlagen der Kriegsschlaufe in Aarburgs Süden vor sich hin, gesäumt von Bäumen und Sträuchern der Oftringer Baumschule Haller. Ein Fussweg zum Perry-Center führte über die Gleise. Passanten mussten sich nicht umschauen, ob ein Zug kommen könnte – sie wussten: Da kommt keiner. Das änderte sich zu Beginn der Nullerjahre. Heute ist die reaktivierte Kriegsschlaufe nicht mehr aus dem SBB-Fahrplan wegzudenken. Wobei Reaktivierung eigentlich das falsche Wort ist, denn dieser wenige hundert Meter lange Abschnitt war nie in Betrieb.
Planungen begannen vor dem Zweiten Weltkrieg
Im Jahre 1937 erhielten die Schweizerischen Bundesbahnen SBB von der Generalstabsabteilung der Schweizer Armee den Auftrag, Studien für die Umfahrung wichtiger Verkehrszentren durchzuführen. Durch direkte Verbindungsgleise zwischen zwei oder mehreren in einen Bahnknotenpunkt einmündenden Linien sollte der Übergang zwischen solchen Linien für Militärtransporte ermöglicht werden, wenn der betreffende Knotenpunkt infolge feindlicher Bombardierungen oder Sabotage nicht mehr benutzbar wäre.
Die SBB erstellten eine Liste von solchen Bahnbauten im militärischen Interesse, von denen dann während des Krieges ein einziges Projekt umgesetzt wurde: die ungefähr 800 Meter lange Umfahrungslinie bei Aarburg, im Volksmund Kriegsschlaufe genannt.
Auf Kosten der Armee bauten die Bundesbahnen in den Jahren 1940/41 eine Verbindung zwischen den Linien Aarburg–Luzern und Aarburg–Bern. Die kurze Strecke wurde mit elektrischer Fahrleitung ausgerüstet, aber nicht an die beiden Hauptlinien angeschlossen. Das hätte die Errichtung teurer Signalanlagen bedingt und diese Kosten konnte oder wollte die Armee nicht übernehmen, wie in einem Dokument im Archiv von SBB Historic aus dem Jahre 1944 vermerkt ist.
Im Falle der Zerstörung des Bahnhofs Aarburg oder des wichtigen Bahnknotens Olten konnten die bestehenden Schienenstränge der Berner und Luzerner Linie mit wenig Aufwand und somit innert kürzester Zeit mit der Kriegsschlaufe verbunden werden. Damit wäre eine eingleisige Verbindung zwischen Rothrist und Zofingen geschaffen. Von Zofingen aus hätten die Züge schliesslich ihren Weg in Richtung Osten über die Nationalbahnlinie fortsetzen können.
Kriegsschlaufe benötigt 59 Aren Land
Ein umfangreicher Abtretungsvertrag zwischen den Landeigentümern und den SBB regelte im Mai 1941 die Entschädigungszahlungen endgültig. In einem Fall hatte sogar das Bundesgericht zu entscheiden: Die Bundesbahnen mussten den klagenden Eigentümer mit Naturalersatz für die 9,18 Aren abgetretenes Land sowie mit 550 Franken in bar für «Bäume, Inkonvenienzen, indirekte Nachteile etc.» entschädigen.
Für die 34,95 Aren Land auf Oftringer Gemeindegebiet und die 24,09 Aren auf Aarburger Seite hatten die SBB insgesamt 32 720.50 Franken an zwölf Grundeigentümer zu bezahlen (das wären gemäss Teuerungsrechner des Bundesamtes für Statistik BFS heute ungefähr 211 500 Franken). Die bezahlten Quadratmeterpreise lagen zwischen 3 und 5 Franken (zwischen 19 und 32 Franken im heutigen Wert).
Bombardierungen, Sabotageakte oder kriegerische Handlungen blieben der Schweiz und auch der Region Zofingen weitgehend erspart; so blieb die Kriegsschlaufe ungenutzt und verschwand unter Gestrüpp.
Mitte der 1980er-Jahre gab es Pläne zur Aktivierung der Strecke für die 700-Jahr-Feierlichkeiten der Eidgenossenschaft 1991. Dieses Projekt wurde jedoch nicht umgesetzt. Erst im Zuge von Bahn 2000 kam Leben auf die im Dornröschenschlaf schlummernden Gleise. Da die Bahnanlagen in all den Jahren höchstens als Abstellgleis für Güterwagen benutzt wurden, musste zunächst eine Totalsanierung durchgeführt werden. Der Spatenstich dazu erfolgte am 10. September 2002. Seit dem Fahrplanwechsel vom 12. Dezember 2004 ist die Kriegsschlaufe fester Bestandteil der Strecke Luzern–Bern.
Aarburg, aufgenommen am 7. Juni 2006 – ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv Aarburg und Oftringen, aufgenommen am 7. Mai 1981 – Bild: Swissair Photo AG/ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz Aarburg, Bahnschranke Alte Zofingerstrasse und Abzweigung Kriegsschleife (rechts hinter Geschwindigkeitstafel sind Fahrleitungsmasten zu erkennen). – Bild: Hans-Peter Bärtschi/ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv Aarburg aus 1900 müM, aufgenommen am 30. Juli 1984 – Bild: Franz Bock/Bildarchiv ETH-Bibliothek Zürich Der Spatenstich für die Verbindungslinie Rothrist–Zofingen der Bahn 2000 ist erfolgt. Damit wird die 1940 gebaute Kriegsschlaufe doch noch aktiv. – Bild: Kurt Blum Mit 80 km/h über die Kriegsschaufe: Seit Sonntag, 12. Dezember 2004, fahrplanmässig und störungsfrei in Betrieb. – Bild: Kurt Blum Spatenstich zur Aktivierung der Kriegsschlaufe vom 10. September 2002 (v. l.): Hans Studer (Geschäftsführer Vogt Strassenbau AG Olten), Gmeinderat Hugo Zemp (Aarburg), Gemeindeammann Heinz Senn (Oftringen), Werner Müller (Projektleiter Bahn-2000-Neubaustrecke) und Hans Peter Howald (Leiter Abteilung Verkerh des Aargauer Baudepartementes). – Bild: Kurt Blum Aarburg, Oftringen, Industrie, Autobahnverzweigung N1 und N2 Zofingen, Blick nach Südosten (SE).
Aufgenommen im Juli 1990 – Bild: Zsolt Somorjai/ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
Unmut und Einsprachen wegen Ausbauplänen für Güterverkehr
Die Kriegsschlaufe ist inzwischen aus dem Fahrplan der SBB nicht mehr wegzudenken. Nun soll der Interregio gemäss SBB-Plänen neu nicht mehr im Stunden-, sondern Halbstundentakt verkehren, was zu täglich 72 statt wie bisher 36 Personenzügen führen würde. Zudem beantragen die SBB auch eine Betriebsbewilligung für den Güterverkehr auf der Kriegsschlaufe. Künftig sollen täglich ein Ölzug und 16 Güterzüge, vor allem für Migros und Coop, über die Schlaufe geführt werden. Durch die Verlagerung dieser Züge würde die heute nötige Wende in Olten wegfallen. Das macht die Schienentransporte deutlich schneller und entlastet die Hauptverkehrsachsen. Die neue Verkehrsführung sorge im Güter- und Personenverkehr für mehr Kapazität, argumentierten die SBB 2023, als die Pläne bekannt wurden. Der Schienengüterverkehr profitiere von direkteren und damit schnelleren Verbindungen. «Die Verbindungslinie ermöglicht die Führung von Güterzügen aus dem Raum Zofingen/Luzern auf direktem Weg in die Westschweiz», so die SBB.
Insgesamt 17 Einsprachen sind eingegangen
Aarburg und Oftringen haben Einsprache gegen die SBB-Pläne erhoben und auch Murgenthal wehrt sich gegen die Ausbaupläne auf der Kriegsschlaufe. Dazu wurde auch der Quartierverein Aarburg Süd aktiv. Insgesamt 17 Einsprachen sind beim Bundesamt für Verkehr bis Ende November 2023 eingegangen. Die Einwender fordern eine Strassenunterführung beim Bahnübergang an der Alten Zofingerstrasse in Aarburg, mindestens aber auch eine Fuss- und Velounterführung bei der Barriere «Am Tych» in Oftringen. Zusätzlich verlangen die Betroffenen südlich der Bahnlinie eine Lärmschutzwand und grundsätzlich Massnahmen gegen Erschütterungen und Körperschall. Die Anwohnenden befürchten vor allem noch längere Barriere-Schliesszeiten als heute.
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) als verfahrensleitende Behörde hat die SBB als Gesuchstellerin zur Stellungnahme zu den Einsprachen aufgefordert. 2023 hiess es, dass mit einem Entscheid in der zweiten Jahreshälfte 2024 gerechnet werden dürfe.
Dieser liegt allerdings bis heute nicht vor. Auf Nachfrage dieser Zeitung wollen sich die SBB nicht äussern und seitens BAV heisst es, dass das Verfahren im Gang ist. «Eine Plangenehmigungsverfügung (Baubewilligung) dürfte nicht vor Ende 2025 zu erwarten sein», hält Mediensprecher Michael Müller fest. Zu inhaltlichen Fragen (Lärmschutz, Unterführung) dürfe er aufgrund des laufenden Verfahrens keine Auskunft geben. (jam)