
Wenn Worte töten: Das Publikum ermittelt und überführt den Täter anhand seines eigenen Textes
Am 29. Juli 2022 setzte die oberösterreichische Hausärztin Lisa-Maria Kellermayr ihrem Leben ein Ende. Monatelang war sie von Menschen aus der radikalen Impfgegnerszene bedroht worden. Per Mail und über soziale Netzwerke erreichten sie Nachrichten, in denen grausame Mordfantasien beschrieben wurden.
Wie so oft in solchen Fällen blieben die Behörden bei der Suche nach dem Urheber der Nachrichten weitestgehend erfolglos, das Verfahren wurde schnell eingestellt. Ergebnis: Täter nicht ermittelbar.
Im Rahmen einer Investigativ-Recherche wurden schliesslich der zuvor beim deutschen Geheimdienst tätige Kriminalwissenschaftler Leo Martin und der Sprachprofiler Patrick Rottler, ein Kommunikationswissenschaftler, Linguist und Datenanalyst, hinzugezogen. Mit ihrer forensisch-linguistischen Analyse konnten sie dem Fall eine neue Wendung bringen, die hoffen lässt, dass der Täter doch noch ermittelt werden kann.
Zwei wahre Fälle – Publikum ermittelt erstmals in der Schweiz
Die beiden deutschen Ermittler präsentieren diesen und einen zweiten Fall – beides exemplarische Beispiele für sprachwissenschaftlich fundierte Ermittlungen – im «Fabrikli» Bottenwil erstmals einem Schweizer Publikum. Ihr Programm, so Patrick Rottler, wolle zum einen für Hass und Hetze sensibilisieren und das Publikum im Umgang damit schulen. Zum anderen besteht die stille Hoffnung, durch Publizität zu Vergleichstexten zu kommen. «Das Publikum hat Einblick in reale Fälle und ist dazu aufgefordert, mit zu ermitteln», so Leo Martin zum Abend, der viel Spannung und wohl auch einige Aha-Effekte garantiert.
Da staunt sogar die Polizei
Die linguistischen Ermittler sind mit einem eigenen Unternehmen präsent und werden auch wiederholt von der Polizei hinzugezogen. Dazu Leo Martin: «Im deutschsprachigen Raum gibt es nur eine überschaubare Zahl von Experten, die in der Lage sind, einen komplexen Fall mit forensischer Linguistik zu klären, ein Teil davon arbeitet beim Bundeskriminalamt. Deren Arbeit wird durch bürokratische Hürden oft erschwert, weshalb wir eine gern genutzte Alternative sind.»
In erster Linie werden die linguistischen Textanalysten aber von mit Nachrichten bedrohten Firmen hinzugezogen, die nicht wollen, dass vertrauliche Informationen öffentlich werden und sich eine stille Ermittlung wünschen.
Schon mit kürzeren Texten ist ein Täterprofil möglich
Um ein Täterprofil erstellen zu können, benötigen die beiden meist weniger als eine A4-Seite Text, in der Praxis lägen aber oft deutlich längere Texte vor. Der Sprachgebrauch, Grammatik, Syntax, Wortschatz und Wortwahl lassen dann Schlüsse auf geografische Herkunft, Alter, Geschlecht und Bildung zu. Merkmale wie zum Beispiel die Verwendung von Scharf-S, Binnen-S, Helvetismen oder französischen Lehnwörtern, die auf geografische Herkunft schliessen lassen, stellen dabei lediglich Merkmale auf der Oberfläche dar. Patrick Rottlers sprachanalytischer Seziertisch lässt zahlreiche individuelle Besonderheiten zutage treten. «Ich kann Texte auf die Tiefe von sechs bis sieben Ebenen auseinandernehmen», sagt er.
Bei ihrer Arbeit vertrauen die beiden auf umfangreiche Software zur Datenanalyse. Ihre Aufgabe besteht dann darin, die Datensätze in Anwendung ihres Erfahrungsschatzes auszuwerten und mit bereits bekannten Droh- und Stalkerprofilen in Beziehung zu setzen.
Im Bühnenprogramm «Wenn Worte töten» enthüllen die Ermittler die hässliche Seite der Kommunikation im Internet, analysieren Hetzkommentare und überführen anonyme Täter. Ein einzigartiges Erlebnis für jeden, der sich für Kriminologie, Sprachwissenschaft oder die Bekämpfung von Hasskriminalität interessiert.