
Der Offenbarungsjournalismus: Wie Meinungen zu Fakten werden
Der Mann ist vom Fach. Wenn Stefan Betschon, der Chefredaktor des Onlineportals kath.ch, gegen einen grassierenden «Offenbarungsjournalismus» anschreibt, meint er nicht einen Journalismus, der göttliche Wahrheiten zutage fördert. Er bezeichnet damit vielmehr einen «Offenbar-Journalismus», der das Gegenstück zum «Recherchierjournalismus» sei.
Konkret stört sich Betschon an der Art der medialen Skandalisierung der Missbräuche in der katholischen Kirche. Wobei die Missbräuche an sich skandalmässig abgenutzt sind und deshalb nun die – je nach Lesart ungenügende – Aufarbeitung der Missbräuche skandalisiert werde. Anstelle von recherchierten Fakten, so Betschon, trete mediales Geraume. «Offenbar» oder «nun zeige sich» seien die Formulierungen, die logische Schlussfolgerungen suggerieren, wo allenfalls Indizien vorliegen.
Die Beobachtung ist über das konkrete Thema hinaus bestechend. «Offenbar» ist ein journalistisches Zauberwort, das Verbindlichkeit nahelegt, ohne sich festlegen zu müssen. Es spielt mit einer vermeintlichen Doppeldeutigkeit, die es beim verwandten Wortpaar «scheinbar» und «anscheinend» tatsächlich gibt. «Offenbar» schafft aber vor allem den journalistischen Freiraum, um einem Text jenen Drall zu verleihen, der den eigenen Ansichten entspricht, ohne sich dafür bekennen zu müssen.
Obschon treffend, hätte es Betschon also noch besser wissen können: «Offenbarungsjournalismus» ist einer, der gerade ohne jede Offenbarung auskommt.