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Geschlagen, angespuckt, beleidigt: Gesundheitspersonal ist immer mehr Gewalt ausgesetzt – jetzt soll die Politik endlich handeln

Ob in der Notaufnahme, im Spital oder in der Pflege zu Hause: Die Gewalt gegen Gesundheitspersonal nimmt zu. Untersucht wird sie nur selten. Das müsse sich dringend ändern, verlangt eine Nationalrätin.

Drohungen, Anspucken, Schläge: Immer mehr Patienten und Angehörige werden dem Schweizer Gesundheitspersonal gegenüber gewalttätig.

Seit 2021 hat sich die Anzahl polizeilich registrierter Gewaltstraftaten an Schweizer Spitälern verdoppelt. Die Hälfte aller Fachpersonen im Schweizer Gesundheitswesen hat in den letzten zwölf Monaten in irgendeiner Form Gewalt bei der Arbeit erfahren. Auf die gesamte Laufbahn gesehen, berichten 90 Prozent der Befragten von solchen Erlebnissen.

Insgesamt findet ein Viertel aller Aggressionen am Arbeitsplatz im Gesundheitswesen statt. Nur Polizei und Sicherheitsleute sind von noch mehr Gewaltereignissen bei der Arbeit betroffen.

Sicherheitskräfte und Schutzkonzepte: Spitäler rüsten auf

Zu Vorfällen kommt es in allen Versorgungsbereichen; besonders betroffen sind psychiatrische Abteilungen und Altersheime, aber auch Notfallstationen. Die Spitäler montieren deshalb vermehrt Überwachungskameras und stellen Sicherheitsleute auf. Im Basler Universitätsspital etwa kommt es täglich zu mehreren Einsätzen des Sicherheitsteams aufgrund übergriffiger Patienten.

Die zunehmende Gewalt führt zu weiterer Belastung für das ohnehin strapazierte Personal. Gewalt kann ein Grund sein, die Stelle oder gar den Beruf zu wechseln. Und wo zu wenig Personal da ist, um alle Arbeit zu bewältigen, kommt es zu mehr Anspannung, mehr Stress, mehr Eskalationspotenzial.

Die SP-Nationalrätin Farah Rumy (SO) kennt diese Situationen aus eigener Erfahrung. Sie berichtet davon, wie ein Patient sie in einer Nachtschicht auf der Abteilung mit einem Infusionsständer angegriffen habe; von Kolleginnen, die mit Schläuchen gewürgt worden seien. Solche Extrembeispiele seien zwar selten, sagt Rumy. Für Ärztinnen und Pflegepersonal gehöre es aber längst zum Berufsalltag, geschlagen, angespuckt oder beleidigt zu werden.

Die Gründe dafür seien oft strukturell. «Menschen in medizinischen Situationen erleben häufig einen Kontrollverlust», sagt Rumy. Dieser Ausnahmezustand könne zu aggressivem Verhalten führen.

Gerade in der Spitex arbeiten viele der Fachpersonen, oft Frauen, allein. Auch dort könne sich eine Situation schnell zuspitzen. Dazu kommen im Alters- und Pflegebereich auch kognitive Einschränkungen, welche ebenfalls zu unberechenbaren Ausbrüchen beitragen könnten. Gemeldet würden solche Vorfälle selten, sagt Rumy – tendenziell erst, wenn sie schon massiv eskaliert seien.

«Wir befinden uns im Blindflug»

Rumy will nun, dass der Bundesrat handelt. In einem Postulat will sie einen Bericht dazu verlangen, wie man medizinisches Personal vor all dieser Gewalt besser schützen könne. Dazu brauche es etwa bessere Prävention und rechtlichen Schutz sowie mehr Massnahmen seitens der Spitäler und Gesundheitseinrichtungen.

Vor allem aber müssten Vorfälle systematisch erfasst werden. Bisher fehlt eine flächendeckende Datenerfassung mit klaren Standards. Ohne diese Daten sei es aber schwer, gezielt einzugreifen, so Rumy: «Wir agieren im Blindflug.»

Obwohl die Zustände schockieren, dürfte sich das Parlament schwertun, weitergehende Massnahmen zu beschliessen. Die Gesundheitskosten steigen, und Prävention ist teuer.

Für Rumy ist aber klar, dass am Schutz des Personals nicht gespart werden darf. Alles andere gefährde nicht nur das Personal, sondern auch die Versorgung der Bevölkerung, sagt sie. Wenn nichts geschehe, werde sich das Problem weiter verschärfen: «Auf Kosten derer, die tagtäglich für andere Menschen da sind.»