
Föderalismus à discrétion
Nach hitziger Debatte hat der Nationalrat am Dienstag entschieden, dass kantonale Mindestlöhne nicht sakrosankt sind. Gibt es allgemein verbindliche Gesamtarbeitsverträge, gelten diese. Und zwar auch, wenn der Mindestlohn dann unterlaufen wird.
Nun stehen staatliche Mindestlöhne in der wirtschaftsliberalen Schweiz eher quer in der Landschaft. Dennoch ist der Entscheid des Nationalrats kurzsichtig.
Erstens werden damit Volksentscheide gekippt. Das ist per se stossend. Es hilft auch nicht, das Vertrauen in Politik und Wirtschaft zu stärken. Die Millionen, die Verbände wie Economiesuisse in Imagekampagnen buttern, sind aus dem Fenster geworfen, wenn sich Arbeitgeber-Interessen bei erstbester Gelegenheit gegen direktdemokratische Entscheide durchsetzen. So macht man es der Linken, die bereits mit dem Referendum droht, etwas gar einfach.
Zweitens haben sich die Kantone fast unisono gegen die Regelung ausgesprochen. Doch im Nationalratssaal interessiert deren Haltung offenbar nur, wenn sie einem in den Kram passt – Föderalismus à discrétion. Dabei wurden Mindestlöhne nur dort eingeführt, wo ein akutes Problem bestand: in der lateinischen Schweiz mit niedrigeren Löhnen sowie in Zentren mit hohen Mieten und ebenso teuren Krankenkassenprämien. Anderswo, etwa in Basel-Landschaft und Solothurn, hat die Bevölkerung sie abgelehnt.
Daher könnte sich das Unterlaufen, drittens, als Eigengoal herausstellen. Die Gewerkschaften werden jetzt mehr Druck in Sachen GAV machen. Das Ergebnis von Nachverhandlungen zahlen dann die Unternehmen in allen Kantonen.