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Lehrpersonen vergeben an Buben und fremdsprachige Kinder schlechtere Noten bei gleicher Leistung

Eine neue Studie zeigt, dass Lehrpersonen bei der Notenvergabe von Vorurteilen beeinflusst werden. Im Fach Deutsch werden Buben systematisch benachteiligt. Auch die Herkunft wirkt sich negativ auf die Beurteilung aus.

Lehrpersonen entscheiden mit, welchen Lebensweg ein Schüler oder eine Schülerin einschlägt. Sehen sie das Potenzial in eines Kindes, fördern und unterstützen sie es? Oder lassen sie das Kind wegen einem halben Punkt durch die Prüfung fallen, weil es immer den Unterricht stört?

Dass persönliche Zu- und Abneigung die Notenvergabe beeinflusst, ist bekannt. Wie eine neue Studie zeigt, geht die Ungleichbehandlung aber über die individuelle Ebene hinaus, sie ist systematisch. Die Bildungsforscher Chantal Oggenfuss und Stefan Wolter haben drei Faktoren ermittelt, die sich auf die Bewertung von Schülerinnen und Schülern auswirken: Das Geschlecht, die Herkunft und der Klassenschnitt.

Unterschied kann 0,6 Notenpunkte ausmachen

Für die Studie wurden zwischen 2016 und 2019 alle Klassen der zweiten Sekundarstufe im Kanton Basel-Stadt untersucht. Insgesamt waren das 3580 Jugendliche. Sie mussten standardisierte, von den Schulen unabhängige Leistungstests durchführen, die extern korrigiert wurden. Die Noten dieser Tests wurden mit dem Durchschnitt der Schulnoten verglichen. Erreichte eine Schülerin einen Zeugnisnote von 5,5, in den unabhängigen Tests aber nur 5,0, wurde sie um eine halbe Note bevorteilt.

Im Fach Deutsch vergaben Lehrpersonen an Mädchen 0,14 Noten mehr als an Buben mit der gleichen Leistung. Fremdsprachige Jugendliche bewerteten die Lehrpersonen mit 0,10 Noten schlechter. Das Geschlecht wirkt sich also etwas stärker auf die Benotung aus, als die Herkunft. Ein hoher Klassendurchschnitt wirkt sich negativ auf die Noten aus: Lehrpersonen drücken die Noten ihrer Schülerinnen und Schüler bei einem zu hohen Gesamtschnitt bis 0,3 Notenpunkte nach unten. Ist der Gesamtschnitt tief, heben sie die Noten an.

Die ungleiche Bewertung gefährdet gemäss Forschenden die Chancengleichheit im Bildungssystem.
Bild: Samuel Golay/ Keystone

Diesen Effekt erklären die Forschenden mit dem Druck, der auf Lehrpersonen laste. Weil unabhängige Testergebnisse fehlen, die aussergewöhnliche Klassenschnitte untermauern könnten, passen die Lehrpersonen diese dem Mittelmass an. Da sich die Effekte kumulieren, kann ein fremdsprachiger Junge in einer leistungsstarken Klasse bis zu 0,55 Notenpunkte schlechter sein als ein anderes Kind mit den gleichen Fähigkeiten.

Nicht alle haben gleiche Chancen

Auch die Mathematik-Noten wurden in der Studie untersucht. In diesem Fach haben Lehrpersonen weder Jungen noch Fremdsprachige benachteiligt. Einzig in Klassen mit einem hohen Notenschnitt sind Mädchen bevorteilt. Die Forschenden vermuten, dass Mathematik nicht den gleichen Raum für unterschiedliche Benotung lässt, wie Deutsch. Ob eine Rechnung richtig oder falsch ist, kann objektiver beurteilt werden, als ob eine Geschichte interessant geschrieben ist.

Die systematischen Verzerrungen in der Notengebung gefährden gemäss Oggenfuss und Wolter die Chancengleichheit im Bildungssystem. Lehrpersonen müssten realisieren, welche Vorurteile und gesellschaftlichen Erwartungen ihre Notenvergabe beeinflussen. Erst dann erhalten alle Jugendlichen ein faires Zeugnis.