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Gesundheitsprävention stärken: Ein Aufruf an die Schweiz

Mit der richtigen Vorsorge liessen sich Milliarden sparen. Warum tut es die Schweiz nicht?

Das Schweizer Gesundheitswesen gehört zu den besten – und teuersten – der Welt. Die Prävention von Krankheiten steckt allerdings noch immer in den Kinderschuhen. Dominierend ist die Behandlung, wenn jemand erkrankt ist. Aber jede späte Krebsdiagnose, jeder vermeidbare Herzinfarkt und jede verschleppte Nierenerkrankung schlägt mit hohen Spitalkosten, langen Reha-Phasen und Ausfällen der Betroffenen bei der Arbeit und in der Familie zu Buche. Zur Prävention gehören gesunde Ernährung und regelmässige Bewegung genauso wie die systematische Früherkennung als direkter Hebel, um diesen Trend zu brechen und gleichzeitig Menschen vor Leid zu schützen.

Stefan Boes ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Luzern.
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Krankheiten entstehen selten über Nacht. Sie folgen biologischen Pfaden, die sich oft Jahre zuvor abzeichnen: erhöhte Blutzuckerwerte, verdächtige Zellveränderungen, still ansteigende Blutdruckspitzen. Wer diese Warnsignale erfasst, kann dank moderner Medizin und Innovationen im Medikamentenbereich das Fortschreiten stoppen. Das bedeutet: weniger Spitalaufenthalte, weniger Operationen, weniger Pflege und mehr gesunde Lebensjahre.

Der Grundsatz ist einfach: Ein zumeist günstiger Test heute spart eine teure Intensivbett-Nacht morgen. Studien belegen dies. Beispiel Brustkrebs: Ein Mikrosimulationsmodell zum St. Galler Mammografieprogramm zeigte sogar niedrigere Gesamtkosten bei gleichzeitig mehr Lebensjahren als in einem Kanton ohne organisiertes Screening. Beispiel Prostatakrebs: Eine europäische Studie zum Prostatakrebs-Screening zeigt, dass die Kosten pro gewonnenem Lebensjahr mit einem Prostata-Screening wesentlich tiefer sind als die Kosten, welche durch die Behandlung des Prostatakrebses hervorgerufen werden.

Florian Saur ist Geschäftsführer von AstraZeneca in der Schweiz.
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Besonders die chronische Nierenkrankheit (CKD) zeigt, wie gross das Potenzial der Prävention eigentlich wäre. Rund zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung sind betroffen, also rund 900’000 Personen. Und von diesen merken etwa zwei Drittel nichts von ihrer beginnenden Krankheit, die sich in der Niere ankündigt. Bleibt CKD unerkannt, hat sie oftmals teure, leidvolle und langwierige Erkrankungen zur Folge. CKD endet oft mit dem vorzeitigen Tod oder einer Dialyse – einer Therapie, die pro Patient und Jahr über 250’000 Franken kostet. Rechnet man den prognostizierten Zuwachs an Patienten hoch, drohen der Schweiz bis 2030 rund 4,2 Milliarden Franken nur an CKD-Kosten. Das sind fast fünf Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben.

Das lässt sich verhindern: Ein unkomplizierter Urin- und Kreatinin-Test in Hausarztpraxen oder Apotheken kostet wenige Franken. Dieser identifiziert Risikopersonen früh und kann bei adäquater Therapie vorzeitige Todesfälle oder teure Hospitalisierungen verhindern sowie den Dialysezeitpunkt um Jahre verschieben. Ein Zuger Pilotprojekt zeigte bereits, wie Apotheken-Tests Risikogruppen erreichen und so teure Spitalbehandlungen hinauszögern können.

Derzeit entscheidet der Wohnort darüber, ob Menschen in der Schweiz automatisch zur Darm-, Brustkrebs- oder CKD-Vorsorge eingeladen werden. Dieser kantonale Flickenteppich produziert Ungerechtigkeiten und verlagert Kosten. Es braucht ein Konkordat zwischen den Kantonen in Fragen der Prävention, ein Präventionskonkordat, um gerechten Zugang für alle Menschen in der Schweiz zu schaffen und unnötige Ausgaben zu vermeiden.

Prävention und Früherkennung scheitern leider immer noch zu häufig am politischen Willen und an partiellen Interessen. Die Erkenntnis, dass Prävention das Gesamtsystem Gesundheit besser macht, muss sich breit durchsetzen. Die nationale Strategie Prävention nicht übertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie) bietet dafür die richtige Plattform. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf folgende Elemente gelegt werden:

– Harmonisierung: einheitliche Standards für Screening-Intervalle, Qualitätssicherung und Finanzierung in der ganzen Schweiz.

– Risikobasierte Ansätze: Nutzung von digitalen Gesundheitsdaten, um Einladungen zur Früherkennung präzise auf die Risikoprofile zuzuschneiden.

– Niederschwellige Zugänge: mobile Teststationen, breite Einbindung der Grundversorgung, Nutzung von eHealth und Kostendeckung.

– Evaluation:Massnahmen sind auf ihre Wirkung, ihren Nutzen und die Kosten zu prüfen und im Sinne eines lernenden Systems anzupassen.

Prävention und Früherkennung sind kein Kostenfaktor, sondern die Grundlage einer klugen Gesundheitspolitik. Mit einer Strategie, die auch nach 2028 ein zentraler Bestandteil unseres modernen Gesundheitssystems bleiben muss. Denn wer heute investiert, spart morgen – und schützt die Menschen vor vermeidbaren Krankheiten. Die Schweiz hat das Know-how und die Ressourcen. Jetzt braucht es nur noch den breiten politischen Willen.