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Ein Ständerat hat mehr als jede fünfte Abstimmung geschwänzt: Das sind die Absenzenkönige im Parlament

Per Knopfdruck machen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Bern Gesetze – doch nicht immer sind sie da, wenn eine Abstimmung ansteht. Die Auswertung von CH Media zeigt, wer am häufigsten unentschuldigt fehlte.

Wenn die Nationalratspräsidentin das Glöckchen läutet, wird es im Bundeshaus unruhig. Politikerinnen und Politiker, eben noch in ein Gespräch vertieft, hasten durch die Wandelhalle in den Ratssaal. Schnell, abstimmen!

Vorstösse, Anträge, Änderungen von Gesetzesartikeln oder Stimmempfehlungen zu Initiativen: Knapp 2500 Mal waren die Nationalrätinnen und Nationalräte seit Beginn der aktuellen Legislatur im Dezember 2023 aufgefordert, ihr Votum abzugeben. Im Ständerat fanden im gleichen Zeitraum 1200 Abstimmungen statt.

Nationalrat Matthias Jauslin hat keine einzige der Abstimmungen verpasst. Damit ist der Aargauer, der Anfang Jahr von der FDP zur GLP gewechselt ist, der gewissenhafteste Politiker unter der Bundeshauskuppel.

Die Absenzenkönige im Ständerat

Andere Parlamentarier und Parlamentarierinnen hingegen fehlen regelmässig im Rat, wie eine Auswertung von CH Media zeigt. Am meisten unentschuldigte Absenzen haben sich beim Bündner FDP-Ständerat Martin Schmid angesammelt. Er hat in der laufenden Legislatur mehr als jede fünfte Abstimmung verpasst.

Der Bündner Ständerat Martin Schmid (FDP) fehlte bei 22 Prozent der Abstimmungen unentschuldigt.
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Auf Platz 2 der Absenzenkönige im Stöckli: Marco Chiesa aus dem Tessin.
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Den dritten Rang belegt der Solothurner Pirmin Bischof.
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Absenzenkönig Schmid zeigt sich auf Anfrage reuig. Er sei sich der vielen unentschuldigten Absenzen bewusst «und werde das verbessern», gelobt er. «Ich habe zum Glück an keiner einzigen Schlussabstimmung und an keiner wichtigen Gesetzesabstimmung gefehlt, wo es auf meine Stimme angekommen wäre.» Schmid sagt, neben den Ratsdebatten empfange er Gäste im Bundeshaus oder führe beispielsweise Gespräche mit Bundesräten. Das wolle er auch weiterhin tun. Gleichzeitig werde er «jedoch auch versuchen, nie eine wichtige Abstimmung zu verpassen, wo es auf meine Stimme als Ständerat für Graubünden ankommt».

Auf den Plätzen zwei und drei der Absenzenkönige im Ständerat folgen der ehemalige SVP-Präsident Marco Chiesa aus dem Tessin (17 Prozent der Abstimmungen verpasst) und der Solothurner Mitte-Ständerat Pirmin Bischof (13 Prozent). Chiesa hat 2024 auffällig oft gefehlt, als er als Parteipräsident aufhörte und in den Stadtrat von Lugano gewählt wurde. In den ersten Monaten habe ihn das neue Amt stark absorbiert, sagt er – inzwischen habe sich das eingependelt.

Auch Pirmin Bischof ist in einer Gemeinde-Exekutive tätig. Es gelinge nicht immer, die Verpflichtungen als Solothurner Gemeinderat an den Sitzungstagen des Ständerats vorbeizubringen, sagt er. Ausserdem sei ein Grossteil der Absenzen an zwei Tagen zustande gekommen – weil er zum Zeitpunkt der Abstimmungen gerade Schulklassen aus dem Kanton Solothurn im Bundeshaus empfangen habe.

Im Durchschnitt blieben Ständerätinnen und Ständeräte 5,6 Prozent aller Abstimmungen unentschuldigt fern. Damit ist die Absenzenquote im Stöckli über doppelt so hoch wie im Nationalrat.

Wer im Nationalrat am häufigsten fehlte

In der grossen Kammer führen derweil Zürcher die Absenzen-Statistik an. Mitte-Nationalrat Philipp Kutter fehlte bei rund jeder siebten Abstimmung unentschuldigt, hinzu kommen viele entschuldigte Absenzen. Ebenfalls häufig mit Abwesenheit glänzten GLP-Nationalrat Martin Bäumle und der Ende 2024 zurückgetretene Grünen-Politiker Bastien Girod.

Mitte-Nationalrat Philipp Kutter fehlte bei knapp 16 Prozent der Abstimmungen unentschuldigt.
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GLP-Nationalrat Martin Bäumle war am zweithäufigsten abwesend.
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Gefolgt vom Grünen Bastien Girod, der inzwischen aus dem Rat zurückgetreten ist.
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Bei Kutter erklärt sich das häufige Fehlen im Rat zumindest teilweise mit seiner Gesundheit. Der Mitte-Politiker ist im Februar 2023 schwer verunfallt und seither Tetraplegiker. Er habe vermutlich nicht jede Absenz gemeldet, die sich aus seiner gesundheitlichen Situation ergeben habe. Ausserdem hat auch Kutter ein Doppelmandat: Neben dem Nationalrat ist er Stadtpräsident von Wädenswil – «die eine oder andere Absenz» wegen dieses Amts sei unvermeidbar. Anfang 2026 wird er als Stadtpräsident zurücktreten.

GLP-Kollege Martin Bäumle verweist ebenso auf Terminkollisionen aufgrund seines Amts als Stadtrat in Dübendorf. Da müsse er priorisieren. An wichtigen Abstimmungen nehme er teil. Zudem merkt er an, dass sich seine Absenzenquote gebessert habe. Bäumle gehört seit Jahren zu den Parlamentariern, die am häufigsten fehlen.

Linke fehlen am wenigsten

Schaut man sich nicht die einzelnen Personen, sondern die Fraktionen an, fallen ebenfalls erhebliche Unterschiede auf. SP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier verpassen gerade einmal 1,6 Prozent der Abstimmungen, auch bei den Grünen ist der Wert vergleichsweise tief.

Mitte und GLP – natürlich beeinflusst durch die vielen Abwesenheiten von Philipp Kutter und Martin Bäumle – weisen mit 4,4 beziehungsweise 4,3 Prozent die höchsten Absenzenquoten auf. Wobei immer nur die unentschuldigten Absenzen berücksichtigt sind. Wer wegen Krankheit, Unfall oder Mutter- oder Vaterschaftsurlaub fehlt, wird nicht gezählt.

Auffällige Differenzen gibt es zudem zwischen den Geschlechtern. Obwohl Männer die Rangliste der grössten Schwänzer anführen, fehlen die Parlamentarierinnen im Schnitt etwas häufiger.

Wenn eine einzige Stimme entscheidet

Auch wenn es Ausreisser gibt: Die Zahlen zeigen, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier insgesamt relativ selten unentschuldigt fehlen. Rund die Hälfte aller Parlamentarier verpasst weniger als jedes fünfzigste Mal, das Knöpfchen zu drücken. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass viele Abstimmungen gebündelt stattfinden – wer im entsprechenden Moment nicht da ist, verpasst unter Umständen gleich zig Gelegenheiten.

GLP-Nationalrat Matthias Jauslin verteidigt seine Kolleginnen und Kollegen.
Bild: Keystone

Matthias Jauslin ist das nie passiert. Auf die Frage, wie er es geschafft hat, keine einzige Abstimmung zu verpassen, sagt er nur: «Ich organisiere mich entsprechend und plane meine übrigen Termine an sitzungsfreien Tagen.»

Er verteidigt seine Kolleginnen und Kollegen, denen das nicht immer gelingt. Wer nicht im Saal sei, habe dafür immer gute Gründe. Schliesslich bilde die Anwesenheit nur einen Teil der parlamentarischen Arbeit ab. «Dass man mal eine Abstimmung verpasst, kann passieren.»

Ärgerlich sei jedoch, wenn wichtige Entscheide anstünden und es durch Absenzen zu einem Zufallsmehr komme. Jauslin spricht beispielsweise das Nein des Nationalrats zu einer Gotthardmaut an, das vergangenen Mai mit Stichentscheid von Präsidentin Maja Riniker (FDP) fiel. Sieben Nationalrätinnen und Nationalräte hatten die Abstimmung unentschuldigt verpasst.

Für jedes Parlamentsmitglied und jede Abstimmung registrieren die Parlamentsdienste, wie er oder sie abgestimmt hat (Ja, Nein, Enthaltung), entschuldigt war oder nicht teilgenommen hat. Diese Daten sind öffentlich. Die Abwesenheitsquote ergibt sich aus der Anzahl unentschuldigter Absenzen, geteilt durch die Anzahl Abstimmungen, die das Parlamentsmitglied hätte absolvieren können. Diese Gesamtzahl ist reduziert für Parlamentarier, die zurückgetreten sind oder erst im Laufe der Legislatur vereidigt wurden.(trs)