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«Es ist heute viel einfacher für Mädchen, Fussball zu spielen» – Julia Stierli über ihren Weg vom Aargau an die Heim-EM

Vom ersten Ballkontakt im Garten in Muri hat sie es bis auf die grosse EM-Bühne geschafft. Julia Stierli hofft, dass die Euphorie der Europameisterschaft auch ihre Heimat erreicht.

Es läuft die 92. Minute im Stade de Genève. Géraldine Reuteler schiesst eine perfekte Vorlage für Riola Xhemaili, die aus fünf Metern den Ball ins gegnerische Netz kickt. Das Stadion bebt, ein ganzes Land jubelt. Die Schweizerinnen schreiben an der Heim-EM ihr eigenes Sommer-Märchen, als sie sich mit einem 1:1 gegen Finnland ins Viertelfinal schiessen. Mittendrin die Aargauer Innenverteidigerin Julia Stierli.

Für die 28-Jährige war es bereits das dritte grosse Turnier – doch dieses in der Schweiz wird ihr besonders in Erinnerung bleiben. «Es war sehr speziell, vor einem so grossen Publikum zu spielen. Gerade auch, weil es zuhause war», sagt Stierli.

Erste Schritte als Aargauer Juniorin

Aufgewachsen in Muri, begann Stierlis Fussballkarriere im heimischen Garten mit den Nachbarskindern. «Ich wollte dann in einen Verein, habe es aber zuerst mit Geräteturnen versucht», sagt Stierli. «Das hat mir aber gar nicht gefallen.» So kam sie zum FC Muri.

«Als Kind habe ich einfach gerne Fussball gespielt. Mir war es egal, was die anderen davon hielten.» Auf Widerstand sei sie kaum gestossen. «Klar, früher war es noch etwas spezieller, wenn ein Mädchen Fussball spielt.»

Obwohl es damals schon Mädchenteams im Aargau gab, entschied sie sich bewusst für eine Bubenmannschaft. «Die Qualität war besser und ich konnte mehr lernen.»

Während es beim FC Muri völlig normal war, dass bei den Jungs auch Mädchen mitspielten, änderte sich das beim FC Aarau. «Da war es für die anderen schon etwas speziell, dass plötzlich ein Mädchen bei ihnen mitgespielt hat. Es gab dann auch mehr Konkurrenzkämpfe und war etwas schwieriger, ins Team reinzukommen.» Sie habe aber ihren Weg gemacht und konnte viel von dieser Erfahrung profitieren.

Nach langer Zeit in Jungsmannschaften, wechselte Julia Stierli (links) zu den Frauen des FC Aarau.
Bild: Otto Lüscher

Geprägt von Aargauer Trainer

Zwei Personen prägten ihre Zeit im Nachwuchs besonders. «Von Guerino Luongo beim FC Aarau durfte ich viel lernen. Er hat mich immer unterstützt, gefordert und gefördert. Beim FC Zürich half mir Dorjee Tsawa vor allem taktisch.» Er habe ihr Dinge beigebracht, die sie auch heute noch in ihrem Fussballalltag brauche.

Der Bezug zur Heimat ist geblieben. «Muri ist mein Zuhause. Meine Familie wohnt noch hier. Das Bodenständige und Familiäre nehme ich auch in meine Profikarriere mit.» Mittlerweile spielt sie in der Bundesliga bei Freiburg, und dennoch: Stierli steht mit beiden Beinen auf dem Boden. Letztes Jahr hat sie ihr Studium zur Physiotherapeutin abgeschlossen. «Mir ist wichtig, neben dem Sport auch einen Ausgleich zu haben.»

Hoffnung auf nachhaltige Euphorie

Die Heim-EM habe in der Schweiz etwas bewegt, ist Stierli überzeugt. «Ich hoffe einfach, dass diese Euphorie für den Frauenfussball nachhaltig ist.» Vor allem die Sponsoren sieht sie nun in der Pflicht. «Sie waren an der EM stark präsent. Jetzt müssen sie auch den Klub-Fussball unterstützen. Nur so kann sich auch die Infrastruktur verbessern.» Die Stadien, die Trainingsbedingungen – vieles sei in der Schweiz noch ausbaufähig.

Julia Stierli (links) und Ana-Maria Crnogorcevic (rechts) nach der Niederlage gegen Spanien im Viertelfinal.
Bild: Sven Thomann/Blick/Freshfocus

«In Deutschland ist die Entwicklung weiter, die Strukturen sind besser.» Dennoch glaubt sie, dass die EM auch hierzulande etwas bewegen kann. «Jetzt sind der Verband, die Klubs und die Regionalverbände gefordert.»

Für die Mädchen von heute

Was hätte sich Stierli als Kind gewünscht? «Ich glaube, es ist heute schon viel einfacher für Mädchen, Fussball zu spielen. Das Image hat sich verbessert, die mediale Aufmerksamkeit ist viel grösser.» Aber: «Es braucht noch mehr. Mehr Sichtbarkeit und mehr Wertschätzung, vor allem auch in den Regionalstrukturen.»

Sie hofft, dass das Momentum genutzt wird – gerade im Aargau. «Es gibt so viele talentierte Mädchen. Wenn jetzt investiert wird, ist vieles möglich.» Die Basis sei da. «Jetzt sind die Klubs, der Verband und die Regionalverbände gefragt.»