
Kommt nun der Impfzwang? Diese Lehren zieht der Bundesrat aus der Pandemie
Am 19. Juni 2020 ging ein Aufatmen durch die Bevölkerung: die «ausserordentliche Lage» war offiziell beendet. Der Bundesrat gab die Führung durch die Coronapandemie zumindest ein stückweit ab. Durch den Übergang in die so genannte «besondere Lage» teilten sich Bundesrat und Kantone fortan die Verantwortung. Doch das führte dazu, dass in der zweiten Corona-Welle im Herbst die Lage unübersichtlich wurde. Die Kantone ergriffen unterschiedliche Massnahmen – zum Beispiel die Schliessung von Restaurants – und nicht wenige Kantone wünschten sich wieder mehr Führung durch den Bundesrat und die Rückkehr zur ausserordentlichen Lage.
Der Bundesrat hat nun die Lehren aus der Corona-Pandemie gezogen. Er hat am Mittwoch die Botschaft zum Epidemiengesetz an das Parlament verabschiedet. Er hält am dreistufigen Modell – normale, besondere und ausserordentliche Lage – fest. Aber er hat die Kompetenzen neu geregelt. Die wichtigsten Neuerungen betreffen die besondere Lage. Der Bundesrat muss diese neu offiziell ausrufen und auch beenden. Und er muss dafür vorher die Kantone und auch die zuständigen Parlamentskommissionen konsultieren.
Bundesrat soll schon früher eingreifen können
Das neue Gesetz zielt zudem darauf ab, dass die besondere Lage besser vorbereitet wird. Zeichnet sich eine «konkrete Gefährdung der öffentlichen Gesundheit» ab, müssen Bund und Kantone Vorbereitungsmassnahmen treffen. Dazu gehört die Schaffung einer Krisenorganisation, die Erstellung von Kommunikationskonzepten oder der Aufbau von Ressourcen für Contact Tracing oder Impfungen.
Neu ist ausserdem, dass der Bundesrat auch in der normalen Lage nationale Massnahmen treffen kann, zum Beispiel eine Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr. Kantonale Regelungen machen bei dieser Massnahme wenig Sinn, weil die Züge ja nicht an den Kantonsgrenzen halt machen.
Lukas Engelberger, Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, sagte an der Medienkonferenz: «Der Bund ist stärker in der Verantwortung.» Die Kantone hätten aber auch mit dem neuen Gesetz nach wie vor eine wichtige Rolle. Von einer Schwächung der Kantone wollte er nicht reden, eher von einer Stärkung des Gesamtsystems. Die Covid-Erfahrung habe gezeigt, dass Massnahmen auf Bundesebene hilfreich sein können.
Neue Regeln für Entschädigungen
Die Kantone hätten sich eigentlich gewünscht, dass klarere Kriterien für den Übergang von der einen zur anderen Lage definiert werden. Davon sieht der Bundesrat aber explizit ab. Das neue Gesetz mag stark von der Corona-Erfahrung geprägt sein. Doch wie die nächste Pandemie aussehen wird, weiss niemand. Entsprechend macht es auch wenig Sinn, Schwellenwerte festzulegen.
Neu erhält das Epidemiengesetz klare Regelungen zur finanziellen Unterstützung von Firmen, die aufgrund der Massnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie grosse Verluste erleiden. Zudem sollen die Überwachungssysteme verstärkt und die Versorgung mit medizinischen Gütern wie Impfstoffen oder Masken verbessert werden. Das neue Gesetz sieht vor, dass der Bundesrat wichtige medizinische Güter gar selbst herstellen lassen kann. Keine Änderung gibt es beim Impfen: ein generelles Obligatorium gibt es weiterhin nicht. Eine Impfung ohne Zustimmung der betroffenen Person ist heute wie künftig nicht möglich.
Mit dem revidierten Epidemiengesetz will der Bundesrat die Bevölkerung besser vor künftigen Pandemien schützen. Ein wesentliches Element ist auch die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen – eine «stille Pandemie», wie Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider sagte. Das Gesetz sieht vor, dass der Bund die Forschung von Antibiotika durch finanzielle Anreize fördern kann.