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Fass ohne Boden oder Zukunftsvision? Warum der Bahnausbau neue Prioritäten braucht

Milliarden fliessen in den Bahnausbau – doch spürbare Verbesserungen für die Fahrgäste bleiben aus. Das Konzept 2035 droht zum Fass ohne Boden zu werden.

Die Umsetzung des Angebotskonzepts 2035 der Bahn führt zu erheblichen Mehrkosten. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation hat Prof. Ulrich Weidmann von der ETH Zürich beauftragt, die geplanten Ausbauprojekte aller Verkehrsträger zu überprüfen und zu priorisieren.

Nach den bereits realisierten Investitionen von Neat und Bahn 2000 wurden wieder rund 10 Milliarden Franken in den Bahnausbau investiert (Step, Bahn 2025). Für das Konzept 2035 waren weitere 16 Milliarden Franken vorgesehen. Nun ist mit zusätzlichen Mehrkosten von 14 Milliarden Franken zu rechnen. Hinzu kommen Planungen wie das Herzstück Basel, der Bahnhof Luzern, der Tunnel Zürich–Aarau und der Grimseltunnel, die zusammen weitere 30 Milliarden Franken verschlingen werden. Insgesamt summieren sich die realisierten und geplanten Investitionen nach Neat und Bahn 2000 auf über 70 Milliarden Franken.

Investitionen in die Zukunft der Bahn sind zentral. Es fehlen aber eine Diskussion darüber, wie die Bahn der Zukunft aussehen soll und ein umfassendes, gesamtschweizerisches und langfristig ausgerichtetes Angebotskonzept. Die Investitionen erfolgen nach dem Motto: Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Investitionen. Die Kosten vieler Projekte stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen.

Die immensen Ausgaben führen zu jährlichen, fixen Folgekosten bei der Infrastruktur von schätzungsweise 3 bis 4 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Der Substanzerhalt der Bahninfrastruktur kostet aktuell gut 3 Milliarden Franken jährlich, während Bund und Kantone für den gesamten Regionalverkehr rund 2,2 Milliarden Franken aufwenden.

Auf der neugebauten Infrastruktur müssen zusätzliche Züge fahren, was weitere wiederkehrende Kosten in Milliardenhöhe verursachen wird, vor allem wenn nicht dort gebaut wird, wo viele Menschen auf die Bahn umsteigen und neue Verkehrserträge generieren. Es besteht die Gefahr, dass am Ende die Infrastruktur so viel kostet, dass das Geld für attraktive Verbindungen fehlt.

Diese massiven Investitionen führen nicht zu spürbaren Verbesserungen für die Fahrgäste. Laut Bund resultieren lediglich Taktverdichtungen und eine Erhöhung der Sitzplatzkapazität um etwa 20 Prozent. Angestrebt wird eine Steigerung des Marktanteils der Bahnen um 3–4 Prozent, das heisst rund dreiviertel des Verkehrswachstums findet weiterhin auf der Strasse statt.

Was ist schiefgelaufen? Ist eine Besserung in Sicht? Der Bund übernimmt sowohl alle Investitionen als auch sämtliche Folgekosten der Infrastruktur (Kapital, Unterhalt, Betrieb usw.). Für die Kantone bedeutet dies, dass sie Projekte anmelden können, ohne Kosten zu übernehmen. Dies fördert ein «Wunschkonzert». Wenn Kantone auch nur einen Bruchteil der Kosten bezahlen müssten, zum Beispiel an die Teile, die nur dem regionalen Verkehr dienen, wäre die Wunschliste vermutlich weniger als halb so gross.

Es ist zu befürchten, dass die Untersuchung von Professor Weidmann keine nachhaltigen Veränderungen bewirkt. Die Kantone werden einer Priorisierung der Ausbauten kaum zustimmen. Selbst wenn eine Priorisierung kurzfristig gelingt, wird die Liste der Wünsche bald wieder so gross sein wie zuvor. Vor allem aber werden Investitionen nicht getätigt, wo der grösste Nutzen entsteht, sondern dort, wo das stärkste Lobbying betrieben wird.

Ein leistungsfähiger ÖV kann einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Dazu braucht es grosse Investitionen. Falsche Investitionen können aber den ÖV ebenso sehr belasten wie unterlassene. Um die Wirkung zu maximieren und Fehlinvestitionen zu vermeiden, braucht es ein Umdenken:

  • Ein durchdachtes, gesamtschweizerisches Bahnausbau-Konzept muss erarbeitet werden, das Potenziale und Prioritäten für den internationalen, den Fern- und Regionalverkehr als auch den Güterverkehr aufzeigt.
  • Die Kantone sollten verpflichtet werden, sich an den Kosten der Infrastrukturausbauten zu beteiligen, die nur den regionalen Verkehr betreffen.
  • Die Projekte müssen nach ihrem Nutzen für das Gesamtsystem priorisiert werden – statt nach isolierten, regionalpolitischen Erwägungen oder kurzfristigen Interessen.

Hinweis

Guido Schoch ist Vizepräsident im Zentralvorstand von Pro Bahn Schweiz und ehemaliger Direktor der Verkehrsbetriebe Zürich.