
Rechtschreibung in Primarschulen: SVP spricht von «Wildwuchs», Lehrerverband ist «erstaunt»
Die Ergebnisse der nationalen Überprüfung des Erreichens der Grundkompetenzen (ÜGK) vom Mai zeigten unmissverständlich: Der Aargau hat Nachholbedarf. Unter anderem bei den Deutschkenntnissen der Schülerinnen und Schüler, die zu wünschen übrig liessen. Defizite offenbarten die Jugendlichen zum Beispiel bei der Rechtschreibung.
Mit einer Motion will die SVP-Fraktion des Grossen Rates nun etwas dagegen unternehmen. Der Regierungsrat solle sicherstellen, «dass die Rechtschreibung an der Volksschule konsequent geübt und eingefordert wird». Lautgetreues Schreiben sowie «Schreiben nach Gehör» sollen abgeschafft werden, heisst es in der Motion weiter.
Bei den ersten Schreibversuchen würden Kinder natürlicherweise lautgetreu schreiben – also so, wie sie das Wort hören: Statt «Vogel» schreiben sie beispielsweise «Fogel». Problematisch werde es, wenn Schülerinnen und Schüler nicht von Anfang an auf die korrekte Schreibweise hingewiesen würden, so die SVP.
Laut der Motion herrscht in Aargauer Schulen in Bezug auf lautgetreues Schreiben «Wildwuchs»: Gewisse Primarschulen tolerierten lautgetreues Schreiben sowie das Konzept «Schreiben nach Gehör», das Kinder dazu ermutigt, so zu schreiben, wie sie sprechen, bis zur 3. oder 4. Klasse. Andere Schulen wiederum legten grossen Wert auf die korrekte Schreibweise.
Als Legasthenikerin von strenger Korrektur profitiert
«Selbst von Klasse zu Klasse gibt es grosse Unterschiede», sagt SVP-Grossrätin Stefanie Köpfli, die die Motion miteingereicht hat, auf Anfrage. Dass Aargauer Schulen die Rechtschreibung teilweise vernachlässigten, habe sie einerseits durch ihre Kinder schon selbst erlebt, andererseits aber auch aus Gesprächen mit anderen Eltern erfahren. «Verwandte und Freunde berichteten mir von ihren haarsträubenden Erfahrungen», sagt Köpfli.

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Nachdem die Grossrätin aus Arni letztes Jahr in der AZ einen Leserbrief zum selben Thema geschrieben hatte, habe sie enorm viel Zuspruch aus der Bevölkerung erhalten – «von Eltern, Grosseltern und auch von Lehrern».
Als Legasthenikerin habe sie in ihrer Schulzeit von einer konsequenten Korrektur profitiert, sagt Köpfli. «Wenn ich lautgetreu hätte schreiben dürfen, könnte ich heute keinen korrekten Satz schreiben.»
Umstrittene Methode seit 2020 verboten
Der kantonale Lehrerinnen- und Lehrerverband «Bildung Aargau» nimmt die Motion «erstaunt» zur Kenntnis, wie der stellvertretende Geschäftsführer Beat Gräub mitteilt. Gemäss dem Aargauer Lehrplan sei die Methode «Schreiben nach Gehör» seit 2020 verboten. «Wir befürworten einen regelbasierten Schreibunterricht.»
Lautgetreues Schreiben sei nur bis zur 2. Klasse vorgesehen, so Gräub. Jedoch würden bereits bis dahin erste Rechtschreibregeln eingeführt. «Es stellt sich die Frage, was – wie in der Motion gefordert – gestrichen werden soll, wenn es gar nicht existiert.»
Ob die deutsche Rechtschreibung im Lehrplan 21 zu wenig Platz erhalte, könne man diskutieren, sagt Gräub. Man müsse sich aber bewusst sein, dass der Lehrplan politisch breit abgestützt sei. «Eine derart grundsätzliche Diskussion kann mit dieser Motion nicht geführt werden.»
Lehrplan-Abweichungen sind möglich

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Dass die Vorgaben des Lehrplans bezüglich Rechtschreibung nicht in jeder Schule oder Klasse konsequent umgesetzt werden, ist laut Gräub möglich. Er betont: «In solchen Fällen müsste die Schulleitung im Rahmen der schulischen Qualitätsentwicklung eingreifen und den Lehrplan 21 durchsetzen.»
SP-Grossrat und Berufsschullehrer Alain Burger hat eine klare Meinung zum SVP-Vorstoss: «Ich halte nicht viel davon. Die Politik sollte sich meiner Meinung nach nicht in pädagogische Fragen einmischen.»
Die Meinung, dass Aargauer Primarschulen die Rechtschreibung vernachlässigen, teile er nicht, sagt Burger, der Mitglied der grossrätlichen Kommission für Bildung, Kultur und Sport (BKS) ist. Herausforderungen wie die Heterogenität in Schulklassen oder der Lehrpersonenmangel nähmen zu. «Dort sollte die Politik ansetzen, statt den Lehrpersonen vorzuschreiben, wie sie zu unterrichten haben.»