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Drama und Skandale waren früher: Nun winkt der Schweizer Nati die entspannteste WM-Qualifikation der Geschichte

Gut möglich, dass die Schweizer das Ticket ans Turnier 2026 in Nordamerika schon am Montagabend lösen. Was es dazu braucht –und wie die Nati die Nerven ihrer Fans normalerweise auf die Probe stellt.

Das Drama trägt den Titel «Schande von Istanbul», doch eigentlich ist es ein Freudentag für den Schweizer Fussball: Am 16. November 2005 löst die Nati trotz der 2:4-Niederlage im Barrage-Rückspiel erstmals seit 1994 wieder das WM-Ticket. Den Erfolg bezahlen Frei, Streller und Co. mit Tritten und Schlägen von türkischen Spielern und Funktionären. Statt sich zu freuen, fürchten die Schweizer nach Spielschluss in der Kabine um ihre Gesundheit,

Die Skandalszenen lassen vergessen, dass die Qualifikation für die WM 2006 auch aus sportlicher Sicht ein Mega-Drama war. Nur dank der mehr erzielten Auswärtstore in den Direktduellen gegen das punktgleiche Israel durfte das Team von Köbi Kuhn damals überhaupt in die Barrage. Und in dieser brauchte es im Rückspiel in der «Hölle von Istanbul» auch in den 90 Minuten vor dem Eklat alles Glück der Welt.

In der Momentaufnahme 20 Jahre danach wirken Schneckenrennen der Schweizer Nati mit Ländern auf den hinteren Rängen der Weltrangliste fast schon surreal. 4:0 gegen Kosovo. 3:0 gegen Slowenien. Und zuletzt das souveräne 2:0 gegen das im Vorfeld als Stolperstein ausgemachte Schweden. Das Team von Murat Yakin tritt in diesem Herbst auf, wie es sonst nur gut aufgelegte Fussball-Grossmächte tun: hinten dicht, vorne jederzeit brandgefährlich.

Dank der Vorlage in der ersten Hälfte winkt nun die perfekte WM-Qualifikation. Maximale Punktzahl bei keinem Gegentor. Erreicht das Team von Trainer Murat Yakin beide Ziele, würde es in die Geschichtsbücher eingehen. Als erstes Team überhaupt in der Fussball-Neuzeit, dem das gelungen ist.

Ruben Vargas (vorne), Granit Xhaka und Remo Freuler (hinten) im Gleichschritt: Löst die Schweizer Nati schon in Slowenien das WM-Ticket?
Bild: Anthony Anex

Zukunftsmusik. Die Schweizer haben derzeit einen anderen Rekord im Kopf. Einen viel wichtigeren: den der schnellsten WM-Qualifikation der Geschichte. Gewinnt die Schweiz am Montagabend in Slowenien und holt im Parallelspiel der Kosovo in Schweden maximal einen Punkt, ist das Ticket nach Nordamerika im Sack. Schon nach zwei Dritteln der Qualifikation.

Gewohnt sind die Schweizer Fussballfans ganz anderes. Arg strapazierte Nerven, weil die Nati ihre WM-Tickets in der Regel im letzten Qualifikationsspiel löst. Oder sogar erst am grünen Tisch erhält.

1934: Weil beim 2:2 gegen Rumänien die Gegner einen nicht qualifizierten Spieler einsetzen, wird das entscheidende Spiel mit 2:0 für die Schweiz gewertet – gleichbedeutend mit dem WM-Ticket.

1938: Das einzige Qualifikationsspiel gegen Portugal findet auf neutralem Terrain statt – die Schweiz gewinnt 2:1.

1950: Weil Belgien auf die Entscheidungsspiele gegen die Schweiz verzichtet, löst diese das WM-Ticket «gratis».

1962: Nach vier Gruppenspielen muss die Schweiz ins Entscheidungsspiel gegen Schweden. Dieses findet in Berlin statt und endet 2:1 zugunsten der Nati.

1966: Dank des 2:1 im letzten Qualispiel gegen Holland überholen die Schweizer Tabellenführer Nordirland, der völlig überraschend in Albanien verliert.

1994: Das 4:0 zum Abschluss der Qualifikation gegen Estland sichert den Schweizern Rang 2 hinter Italien und das WM-Ticket.

2006: 4:4 lautet das Torverhältnis nach den Barragespielen gegen die Türkei. Weil die Schweizer im Gegensatz zum Gegner auswärts treffen, fahren sie an die WM.

2010: Nach dem Fehlstart (1:2 gegen Luxemburg) rettet sich die Schweiz dank des 0:0 gegen Israel am letzten Spieltag doch noch an die WM.

2014: Das WM-Ticket ist nach dem 2:1 in Albanien schon nach der zweitletzten Runde sicher. Bis heute die einzige vorzeitige WM-Qualifikation.

2018: Nach dem 0:2 in Portugal am letzten Quali-Spieltag muss die Schweiz in die Barrage. Und setzt sich in dieser mit Müh und Not gegen Nordirland durch (1:0, 0:0).

2022: Die Schweiz gewinnt 4:0 gegen Bulgarien und überholt auf den letzten Drücker Tabellenführer Italien, der in Nordirland patzt.

2026: Noch ist das Ticket nicht gelöst. Doch vieles deutet aus Schweizer Sicht auf die entspannteste WM-Qualifikation der Geschichte hin.