
Aargauer Gemeinden zahlen zu tiefe Sozialhilfe-Mietbeiträge – was der Regierungsrat nun vorhat
Wer Sozialhilfe bezieht, erhält von seiner Wohngemeinde Geld, um die Miete zu bezahlen. Im Kanton Aargau legt jede Gemeinde dafür eine Obergrenze fest. Sie ist abhängig von der Anzahl Bewohner, Wohnungsgrösse und der lokalen Marktmiete.
Doch unter den 197 Gemeinden bestehen nicht nur bei der Höhe dieser Beiträge enorme Unterschiede, wie eine Recherche zeigte. Manche Gemeinden haben die Beiträge seit Jahren nicht angepasst, obwohl sie per Gesetz «periodisch» zur Überprüfung verpflichtet sind. Mancherorts reichen die Gelder nicht aus, dass Sozialhilfe-Beziehende ihre Miete damit bezahlen können. Dabei muss ihnen eine nachvollziehbare Berechnungsmethode zugrunde liegen. Es entsteht der Eindruck, dass Gemeinden durch zu tiefe Beiträge Sozialhilfe-Beziehende vergraulen beziehungsweise fernhalten wollen.
Aargauer verletzen ihre Pflichten
Der Regierungsrat hat schon vor rund einem Jahr Handlungsbedarf erkannt, wie er auf einen Vorstoss von Grossrätin Therese Dietiker (EVP) antwortete. «Nicht alle Gemeinden im Kanton Aargau nehmen ihre Pflichten in Bezug auf die Mietzinsrichtlinien rechtlich korrekt wahr», hielt er fest.
EVP-Grossrätin Therese Dietiker.Bild: Philipp ZimmermannDietiker forderte, das Aargauer System der Mietzinsrichtlinien zu überprüfen. Und sie schlug vor, Mietzinsregionen einzuführen – solche existieren bei den Ergänzungsleistungen. Eigentlich wollte der Regierungsrat das Postulat entgegennehmen, die Handhabung der Mietzinsrichtlinie und die Weiterentwicklung der Fallführungssysteme der Gemeinden prüfen.
Zusatzrunde nach dem Nein von SVP und FDP
Doch eine Mehrheit von SVP und FDP verhinderte dies – und lehnte das Postulat ab. Andreas Schmid (FDP) forderte statt der Mietzinsregionen, dass der Kanton seine Aufsichtstätigkeit verstärkt. Und es sei wichtig, dass die Gemeindeverbände hinter einer Änderung stehen. Die Gesetze an sich zu den Mietzinsrichtlinien seien ausreichend, legte René Bodmer (SVP) nach. Das Nein von FDP und SVP sorgte bei den anderen Parteien für Erstaunen – sogar der zuständige Regierungsrat Jean-Pierre Gallati sagte: «Das hat mich jetzt wirklich überrascht.» Zu Schmid sagte er: «Alle fünf Mitglieder des Regierungsrats wissen, dass gegen den Widerstand der Gemeinden nichts geht.» Natürlich wären die Gemeinden einbezogen worden.
Therese Dietiker reichte im Mai ein weiteres Postulat ein – wieder mit der Forderung an den Regierungsrat, das Aargauer System zu überprüfen. Diesmal beinhaltet der Vorstoss aber mehr Vorschläge: das Erarbeiten von Empfehlungen für die Berechnung der Mietzinsobergrenzen, die Einführung von kantonalen Audits, die Erhebung der Mieten in allen Gemeinden sowie die Weiterentwicklung der Fallführungssysteme. Neun Mitglieder des Grossen Rats haben den Vorstoss unterschrieben. Der Freisinnige Andreas Schmid, ab 2026 neuer Stadtammann von Lenzburg, gehört zu ihnen.
Der Regierungsrat will das Postulat entgegennehmen. Alle Vorschläge erachtet er als «prüfenswert». Für die Überweisung des Vorstosses an den Regierungsrat macht sich das Netzwerk Sozialer Aargau stark. «Das Postulat ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Rechtmässigkeit in der Aargauischen Sozialhilfe und sozialer Sicherheit im Kanton Aargau», schreibt es in einer Mitteilung vom Dienstag.
«Es stärkt die Rechtssicherheit, verbessert die Transparenz und sorgt dafür, dass die Sozialhilfe ihren verfassungsmässigen Auftrag erfüllen kann: die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums.» Reicht der Beitrag der Gemeinde nicht für die Miete, müssen Sozialhilfebeziehende diese mit dem Grundbedarf decken. Der ist aber für den täglichen Lebensunterhalt vorgesehen. «Realistische Mietzinslimiten sind eine Voraussetzung für die Armutsbekämpfung», sagt Koordinatorin Fabienne Notter.
Wann der Grosse Rat über den Vorstoss behandelt, steht noch nicht fest.