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Was eine Zürcher Gipser-Connection mit einem ungelösten Mafia-Fall in Italien zu tun hat

Ein Zürcher Fall zeigt, wie dubiose Akteure Schweizer Fake-Firmen benutzen, um verschiedene Arten von Verbrechen zu begehen.

Region Mailand, Norditalien. Im Juli 2021 verschwand der vermögende Unternehmer Pasquale Lamberti. Von ihm fehlt bis heute jede Spur, er wurde vermutlich umgebracht. Ermittlungen der italienischen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaften zeigten: Die Firmen und die Millionen des Unternehmers waren bei einem Ndrangheta-Clan gelandet, und zwar auf dem Umweg über eine Schweizer Briefkastenstruktur.

Der mutmassliche Betrug lief über einen Firmenmantel, den kurz zuvor ein wegen Mordes und anderen Delikten vorbestrafter italienischer Krimineller persönlich in der Schweiz übernommen hatte.

Verfolgt man die Geschichte des Firmenmantels zurück, so zeigt sich: Er gehörte einst zu einem angeblichen Gipsergeschäft an bester Zürcher Adresse. Involviert in die Gründung war ein Schweizer Anwalt, der immer wieder im Zusammenhang mit dubiosen Strukturen und Vorgängen auftaucht.

Beispielsweise in einem Fall, den vor einigen Wochen das Zürcher Bezirksgericht verhandelte. Ein Schweizer, 45, wurde wegen mehrfachen Betrugs zu zwei Jahren unbedingt verurteilt. Er soll für seine Gipserfirma immer wieder Personal bei Temporärfirmen ausgeliehen, aber nie bezahlt haben. Den Temporärfirmen entstand ein Schaden von über 100’000 Franken.

Vier Gipserfirmen mit fast gleichen Namen

Mit dem Gipser angeklagt war der Schweizer Anwalt, 57, dessen Name auch in der Briefkastenfirma im Fall Lamberti auftaucht. Im Zürcher Betrugsprozess wurde dieser Anwalt nun zu einer bedingten Geldstrafe wegen Beihilfe verurteilt

Der Fall zeigt aber vor allem auf, dass Briefkastenfirmen für verschiedene Arten von Betrug benutzt werden.

Die Gipserfirma im Fall des Zürcher Betrugs hat beinahe den gleichen Namen wie die Gesellschaft, die im Fall Lamberti aufschien. Recherchen fördern sogar vier Gipserfirmen mit fast identischem Namen zutage, in denen die gleichen Personen als Organe aktiv waren. In den Firmenbezeichnungen waren jeweils bloss zwei Buchstaben ausgetauscht.

Diese Gipser-Connection war also ein Betrugsvehikel, die vier Firmen gehörten zusammen. In der Anklage der Zürcher Staatsanwaltschaft steht, Ähnlichkeiten der Firmennamen seien vom Gipser bewusst gewählt worden: Ziel war, das Personal, das sich auf Baustellen um Zutrittskontrollen kümmerte, zu täuschen. Es sollte nicht merken, dass andere Arbeiter als gemeldet am Werk waren.

Der Gipser ist auch ein Menschenhändler

Aber der Gipser, der im Zürcher Fall als treibende Kraft gilt, hat mutmasslich noch ganz anderes auf dem Kerbholz. Schon Anfang 2023 verurteilte ihn das Zürcher Bezirksgericht zu zehn Jahren Haft wegen gewerbsmässigen Betrugs und Menschenhandels. «Gipsermeister wollte Büezer vergasen», titelte die Zeitung Gewerkschaftszeitung Work damals. Der Mann, der im Lauf seiner Karriere auch seinen Namen wechselte, hatte zwischen 2012 und 2016 in Ungarn, Bulgarien und Moldawien billige Arbeitskräfte angeheuert. In der Schweiz zahlte er ihnen Stundenlöhne zwischen 4 und 9 Franken, manchmal sogar nur 80 Rappen.

Nachdem die Gewerkschaft Unia aktiv wurde, liess die Staatsanwaltschaft Zürich das Telefon des Gipsers abhören. Laut Work-Zeitung sagte der Gipser Sätze wie: «Die Sieche söttsch all halte wie Sklave, wie imene KZ, vernichte, vergase, das Pack!» Oder auch: «Man muss die nehmen, die noch nie hier waren, und sie dann nach einem Jahr auswechseln, da sie schon hoch­näsig geworden sind.» Die Staatsanwältin gab an, der Gipser sei immer nach dem gleichen Muster vorgegangen: «Aus dem Ausland holen, zuerst gut behandeln, dann richtig auspressen und zuletzt fallenlassen.»

Die Zürcher Urteile sind nicht rechtskräftig. Der Gipser hat sie an die nächste Instanz weitergezogen. Er spielt auf Zeit, wechselte im Menschenhandel-Verfahren kurz vor dem zweitinstanzlichen Verfahren den Anwalt aus.

Der Gipser ist jetzt Treuhänder und Sachwalter

Der Mann ist weiterhin im Geschäft. In einer Consulting-Firma mit Sitz im Kanton Schwyz tritt er als Fachkraft auf, beispielsweise als Sachwalter in Nachlassstundungen von Firmen. Er wollte die Consulting-Firma sogar als provisorische Sachwalterin in seiner eigenen Nachlassstundung einsetzen, was aber das Kantonsgericht Appenzell-Ausserrhoden ablehnte. Hinter dem Gipser und dem Anwalt scheint ein Netzwerk zu stehen, das unter anderem einen ausgeprägten Balkan-Hintergrund hat. Es zeigen sich unter anderem auch Verbindungen ins Rotlichtmilieu und in die Spielcasinoszene sowie ins Geschäft mit Immobilien.

Die Gipser-Connection gibt einen Teileinblick in die Szene von Anwälten, Notaren, Treuhändern, Finanzberatern, die sich auf das Geschäft rund um kriminelle Akteure aus aller Welt spezialisiert zu haben scheinen. Sie setzen Firmen auf, beglaubigen Unterschriften und Statuten, amtieren als Organe, sorgen für Fake-Arbeitsverträge, organisieren alle möglichen Dienstleistungen, von der Autonummer bis zur Aufenthaltsbewilligung, helfen beim Verschieben oder Investieren von Geldern.

«Die Ermöglicher», nennt ein Staatsanwalt diese Akteure. Sie sind unverzichtbar für die organisierte Kriminalität, für die Geldwäsche, für die Investitionen in die legale Wirtschaft.

Im Netzwerk hinter der Gipser-Connection zeigen sich auch Verbindungen zu Baufirmen oder Finanzdienstleistern, die in der Hand von Personen aus dem Kosovo sind, mit guten Beziehungen in Regierungskreise. Firmen, die ihre Geschäftstätigkeit in der Schweiz rasant ausweiten und nicht zuletzt im Sport für sich werben.

Zuger Treuhänder: Trotz Todesdrohung weiter im Geschäft

Der Fall des verschwundenen italienischen Unternehmers Lamberti zeigt, dass die kriminellen Banden bei uns auf alte Strukturen zählen können. So kam im Konstrukt, über das der Mafia-Clan der Bruzzaniti in den Jahren 2020 und 2021 die Gelder des Unternehmers über die Schweiz verschob, auch ein Zuger Treuhänder zum Einsatz.

Der Name dieses Treuhänders erschien zwischen 1997 und 2006 schon einmal im Zusammenhang mit einem Clan der kalabrischen Ndrangheta. In einer Anklageschrift der Bundesanwaltschaft aus dem Jahr 2011 steht, dass der Mann in Zug vom italienischen Ferrazzo-Clan bedroht worden sei, nachdem er die Leasing-Raten für seinen Mercedes SL 500 nicht rechtzeitig bezahlte. Ein Mafioso stellte dem Treuhänder laut Anklage in Aussicht: Er wisse ja, wie Probleme wie das nicht rechtzeitige Bezahlen von Leasingraten in seinem Land, in Italien, geregelt würden.

Diese Drohung gegen Leib und Leben hielt den Treuhänder allerdings nicht davon ab, auch zwanzig Jahre später noch im mafiösen Umfeld geschäftlich zu wirken. Diesmal im Zusammenspiel mit dem Anwalt, der in der Gipser-Connection eine Hauptrolle spielt.

Man kennt sich. Aber wenn man sie fragt, wollen die Anwälte und Treuhänder nichts Unrechtes getan haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.