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Nachtarbeit, 6 Tage, 12 Stunden am Tag: So verdient ein Bäcker sein tägliches Brot

Der Bäcker Nils Gnädinger arbeitet dann, wenn andere schlafen. Mit den Preisen der Grossverteiler mithalten? Aussichtslos. Wir haben ihn eine Nacht lang begleitet.

2.57 Uhr

Kein Mensch befindet sich auf dem Dorfplatz in Andelfingen. Alles ist dunkel. Nur in einem Haus brennt Licht. Dort, wo in verschnörkelten Buchstaben «Bäckerei – Konditorei» auf der Fassade steht, herrscht geschäftiges Treiben.

Nils Gnädinger und seine Mitarbeiterin Tanja (Name geändert) stehen in der Backstube der Bäckerei Gnädinger. Nebeneinander formen sie Teigklumpen zu gleichmässigen Kugeln. Die beiden arbeiten routiniert, schnell und ohne viel zu reden.

In der Backstube beginnt die Arbeit, wenn es draussen noch Nacht ist.
Bild: watson

Um sie herum stehen Bleche auf den Regalen, voll mit Nussgipfeln, Zimtschnecken und Brötchen, bereit zum Backen. Der Geruch nach frischem Brot, Süssgebäck und Mehl ist allgegenwärtig. Ununterbrochen läuft die Teigmaschine, und auch Nils und Tanja sind immer in Bewegung. Das Klappern von Blechen und Ofentüren und das Piepen des Weckers für die fünf Backöfen erfüllen den Raum.

«In diesem Haus ist immer Leben», sagt Nils. Er trägt die klassische Bäckeruniform: karierte Hose, weisses Shirt, graue Mütze. Seine Kleider und Schuhe sind mit einer Schicht Mehl überzogen.

Nils bestreicht Zimtschnecken mit Zuckerguss.
Bild: watson

Nils hat die Bäckerei vor zehn Jahren von seinem Vater übernommen. Der 39-Jährige wohnt mit seiner Frau Sarah in einer Wohnung über der Backstube. Von 1.30 Uhr bis etwa 20 Uhr wird hier gearbeitet – in der Backstube, im Laden oder im Café.

Nils arbeitet 6 Tage die Woche, 12 Stunden pro Tag. Daraus können auch mal 18 Stunden werden.

Nils’ Arbeitstag startet um zwei oder drei Uhr in der Früh in der Backstube und endet abends im Büro. Das Mittagessen mit seiner Frau ist ein Fixpunkt. «Das ist mir wichtig, das hat schon mein Vater so gemacht», sagt Nils, als er kurz innehält. Nach dem Mittagessen legt er sich jeweils kurz hin, am Abend geht er um neun oder zehn Uhr ins Bett.

3.44 Uhr

Nach und nach füllt sich die Backstube mit weiteren Personen. An diesem Tag stellen Nils und sein Team zwölf verschiedene Brotsorten her. Darunter Sauerteigbrot, Ruchbrot, Spezialbrote – und das Halbweisspfünderli. Jenes Brot, das es im Aldi nun für 99 Rappen zu kaufen gibt. In der Bäckerei Gnädinger kostet es 3.60 Franken.

Eigentlich sei das immer noch zu wenig, sagt Nils. Zieht man die Zutaten, Löhne und andere Fixkosten ab, bleiben noch etwa 20 Rappen übrig. «Und damit ist noch nichts amortisiert», sagt Nils.

Die Brotteige sind bereit zum Backen: Auf dieser Rollkonstruktion werden sie gleich in den Ofen geschoben.
Bild: watson

Nachdem sein Vater die Preise dreissig Jahre lang kaum erhöht hatte, hat Nils sie in den vergangenen zehn Jahren bereits drei- bis viermal angepasst. «Aber niemand kauft ein Pfünderli für 5.50 Franken», sagt er.

Mit den Preisen der Grossverteiler mithalten zu wollen, sei aussichtslos. Nils beschäftigt 30 Personen in der Backstube, dem Laden und dem Café. Nils’ Bäckerei läuft gut. Doch auch er spürt den finanziellen Druck. Die Preise zu senken, ist darum keine Option.

Nils kann nachvollziehen, wenn Menschen aus finanziellen Gründen ihr Brot im Supermarkt kaufen. Trotzdem sagt er:

«Wir leisten uns so viel. Aber kaum jemand ist bereit, Geld für Lebensmittel auszugeben.»

Nils Gnädinger

3.57 Uhr

Im Raum neben der Backstube haben zwei Konditorinnen ihre Schicht begonnen. Als Erstes machen sie Cremeschnitten. Am Vortag haben Nils und seine Frau dafür die Vanillecreme gekocht und die Teigböden gebacken. Als Nächstes kochen die Konditorinnen den Sulz für die Canapés und bereiten das Birchermüesli und die Schwedentorten zu. Das Angebot der Bäckerei Gnädinger ist gross, und entsprechend auch der Aufwand.

«Eigentlich arbeiten wir völlig ineffizient», sagt Nils halb im Scherz, halb ernst. Wer Nils zuhört, merkt schnell: Rein wirtschaftlich werden die Entscheide hier ohnehin nicht gefällt. «Es wäre lukrativer, wenn ich im Haus Wohnungen bauen und vermieten würde, als eine Bäckerei zu führen», sagt Nils. Und fügt mit einem Schmunzeln an: «Aber was würde ich dann machen?»

Es sind die Leidenschaft zum Beruf und die Überzeugung, dass gutes Brot eine Wertigkeit besitzt, die Nils antreiben. «Es macht mich schon stolz, wenn ich am Morgen die Brote in das Regal im Laden einräume. Man sieht, was man geschafft hat.»

«Man sieht, was man geschafft hat» – die Bäckerinnen und Bäcker sehen am Morgen das Resultat ihrer Arbeit.
Bild: watson

Jedes Gebäck, das vorn im Laden verkauft wird, stellen Nils und sein Team hinten in der Backstube selbst her. Der Dinkel kommt vom befreundeten Bauer, sogar bei der Ernte war Nils dabei.

Der Bäcker passt sein Sortiment immer wieder an. «Man muss ein wenig mit den Trends mitgehen.» Heute bietet er zum Beispiel weniger Blätterteigprodukte als sein Vater an, dafür sind Apfelschnitten oder Brownies dazugekommen. Dabei geht es nicht nur um Food-Trends, sondern auch um Haltbarkeit.

4.15 Uhr

Mittlerweile sind vier Personen in der Backstube an der Arbeit. Mit den Händen rollen sie Teigstreifen aus und zöpfeln sie in Sekundenschnelle. Nils bestreicht derweil die Zöpfli mit Eigelb, schneidet Brote ein und macht die Lieferungen für den örtlichen Volg und das Altersheim bereit.

Frisch gebacken und bereit zur Lieferung: Nils‘ Bäckerei beliefert unter anderem den Volg und ein Altersheim.
Bild: watson

Sagt Nils «gerne jemand», ist sofort jemand zur Stelle, um mit ihm die Teige auf einer Rollkonstruktion in den Ofen zu schieben. Es ist Teamarbeit, jeder Handgriff sitzt. «In diesem Beruf muss man nicht nur früh aufstehen. Man muss auch gut mit Menschen umgehen können», sagt Nils.

Das Team in der Bäckerei Gnädinger ist jung. Gerade viele Frauen würden den Beruf verlassen, wenn sie eine Familie gründen.

«Als normaler Bäcker oder Bäckerin ist es schwierig, eine Familie zu ernähren.»

Nils Gnädinger

Der Mindestlohn für gelernte Bäckerinnen und Bäcker liegt gemäss Angaben des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verbands bei 4400 Franken, für ungelernte bei 3670 Franken.

5.36 Uhr

Im Nebenraum, im Reich der Konditorinnen, steht Flavio und bereitet die Berliner zu. Zuerst frittiert er die Brötchen, dann füllt er sie mit Marmelade. Flavio hat die Ausbildung zum Bäcker vor ein paar Jahren abgeschlossen.

Bäcker zu werden, sei schon immer sein Traum gewesen, erzählt der 23-Jährige, während er die Berliner in die Zimt-Zucker-Mischung tunkt. Was ihm an seinem Beruf am besten gefällt? «Der frühe Feierabend», sagt Flavio lachend. Und ernster: «Ich habe schon immer gerne gebacken und gekocht.» Jetzt komme er neben dem Job allerdings nicht mehr so häufig dazu.

Flavio bestreut Berliner mit Puderzucker, nachdem er sie frittiert und mit Konfitüre gefüllt hat.
Bild: watson

Viele seiner Freunde arbeiten ebenfalls in der Branche, er sieht sie an den freien Tagen oder in den Ferien.

Die meisten im Team schlafen über Mittag und gehen um acht Uhr abends ins Bett. Viel Freizeit bleibt da nicht.

Auch Tanja, die an diesem Tag seit 1.30 Uhr in der Backstube steht, erzählt, dass viele ihrer Freundinnen und Freunde in Berufen mit Schichtbetrieb arbeiten, etwa in der Pflege. Eine eigene Bäckerei zu führen, könne sie sich nicht vorstellen. Das Leben als selbstständige Person sei hart, sagt sie und deutet auf ihren Chef. Sie sei darum lieber angestellt.

Trotz des stressigen Alltags nimmt sich Nils bewusst Freizeit. Er geht mit seiner Frau etwa an Eishockeyspiele oder in die eigene Sauna. «Dann wird nicht über das Geschäft gesprochen.» Und Nils spielt Fussball. Auch zur Erholung ist er gerne aktiv – «dann studiert man nicht so viel herum», sagt er.

Das Resultat einer Nacht: Die Auslage im Laden ist um 6 Uhr mit frischem Gebäck, Confiserieprodukten und Sandwiches gefüllt.
Bild: watson

6.03 Uhr

Hinter der Verkaufstheke steht Susanna. Die Bäckerei öffnet offiziell erst um sechs Uhr, ein paar Kundinnen und Kunden hat Susanna aber schon vorher bedient.

Trotz der frühen Stunde betritt alle paar Minuten jemand den Laden, um sich vor der Arbeit ein Brötchen, ein Gipfeli oder ein Sandwich zu kaufen. Susanna begrüsst sie alle mit Namen.

Susanna arbeitet Teilzeit im Laden und kennt fast die gesamte Kundschaft mit Namen.
Bild: watson

Ein Mann, der gerade eingekauft hat, sagt, er schätze die Freundlichkeit und die Qualität des Brotes hier. Er arbeitet im Dorf und kommt regelmässig in der Bäckerei vorbei. Für ein Brot vom Bäcker sei er auch bereit, etwas mehr zu bezahlen, sagt der Mann:

«Fairness kostet etwas.»

unbekannt

7.45 Uhr

Im Sääli über dem Laden machen die Bäckerinnen und Bäcker Pause, nachdem sie die Gipfeli für den nächsten Tag geformt und eine Lieferung eingeräumt haben.

Nils setzt sich zum ersten Mal an diesem Morgen hin, vor sich einen Cappuccino. Erst wenn er Pause mache, hole ihn die Müdigkeit ein, sagt Nils. «Solange man in Bewegung bleibt, geht es.»

Wie lange kann man diesen Job machen? Bis zum Pensionsalter werde er sicher noch selbst in der Backstube stehen, sagt Nils. Auswirkungen auf die Gesundheit spüre er bisher keine. Der Beruf halte ihn eher fit. Nur, wenn es Winter wird und die Temperaturunterschiede zwischen Backstube und draussen grösser werden, dann hole er sich jeweils eine Erkältung.

Wenn es draussen dämmert, ist der Arbeitstag in der Bäckerei Gnädinger bereits in vollem Gange.
Bild: watson

8.02 Uhr

Draussen dämmert es. Der Dorfplatz erwacht langsam zum Leben. Die Menschen sind unterwegs und gehen zur Arbeit. In der Backstube geht die Arbeit weiter, es ist noch lange nicht Feierabend, jetzt beginnt die Spätschicht.