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«Arena» zum Service Citoyen – drei Schülerinnen sagen, was Sache ist

Am 30. November stimmt die Bevölkerung über eine Dienstpflicht für Männer und Frauen ab. In der Abstimmungs-«Arena» stritten die Politiker über Sicherheit und Diskriminierung. Welche Argumente haben die Schülerinnen im Publikum überzeugt?

Die Abstimmungs-«Arena» zum Service Citoyen ist genau eine Stunde alt, da entfährt es GLP-Nationalrat Patrick Hässig: «Mir ist immer ein bisschen unwohl zumute, wenn Grüne und SVP gemeinsame Sache machen!»

Tatsächlich kommt es selten vor dass die Grünen mit der SVP einer Meinung sind: Beim Service Citoyen ist es der Fall. Die Diskussion darum, ob die Schweiz einen obligatorischen Bürgerdienst (und Bürgerinnendienst!) einführen soll, verläuft nicht entlang der klassischen Parteilinien.

Alle Bundesratsparteien lehnen die Vorlage ab, dafür sind nur die Kleinparteien GLP und EVP. Links und Rechts bekämpfen die Vorlage gemeinsam – allerdings aus völlig unterschiedlichen Gründen, wie die Diskussion im Studio 8 am Leutschenbach zeigte.

Folgende Gäste hatte Moderator Mario Grossniklaus geladen:

  • Martin Pfister, Bundesrat die Mitte, Vorsteher des Verteidigungsdepartements (VBS)
  • Balthasar Glättli, Nationalrat Grüne/ZH
  • Noémie Roten, Präsidentin Initiativkomitee
  • Patrick Hässig, Nationalrat GLP/ZH
Die Gäste der «Arena» sind (v.l.n.r.): Balthasar Glättli, Martin Pfister, Noémie Roten und Patrick Hässig. Moderiert wird die Sendung von Mario Grossniklaus (mitte).
Bild: Screenshot SRF

Mehr Sicherheit oder unnötiger Zwang?

Im Grundsatz möchte die Service-Citoyen-Initiative, dass die Dienspflicht, die bis anhin nur für junge Schweizer gilt, auf junge Frauen ausgeweitet wird.

Zudem würden mit dem Service Citoyen Militärdienst, Zivilschutz und Zivildienst gleichgestellt. Wobei der Initiativtext gleichzeitig festschreibt, dass die Bestände der Armee gesichert sein sollen.

Noémie Roten, die geistige Mutter hinter dem Service Citoyen, sagt, sie beobachte seit 14 Jahren, wie sich die Schweizer Dienstpflicht und das Sicherheitskonzept entwickeln:

«Es tut sich nichts. Deshalb haben wir die Initiative lanciert. Für uns bedeutet Sicherheit, das zu stärken, was die Schweiz ausmacht: Sicherheit und Zusammenhalt durch Engagement».

Wenn der Schweiz neu doppelt so viele Dienstpflichtige zur Verfügung stünden, werde das Land sicherer. Die Service-Citoyen-Initiative verfolgt ein breiteres Verständnis von Sicherheit: Roten zählt nicht nur die militärische Verteidigung dazu: Auch ein Unwetter im Tessin, ein Brand in einem Tunnel, die medizinische Versorgung in den Spitälern gehören für sie dazu.

Martin Pfister, der zum ersten Mal als Bundesrat in der «Arena» zu bestehen hatte, lobte den Service Citoyen zwar als «grundsätzlich gute Idee», aber:

«Die Initiative schiesst völlig über das Ziel hinaus. Im Zentrum sollte stehen, die Bestände von Armee und Zivilschutz zu sichern – und nicht ein Service Citoyen, der massenhaft junge Leute zu einem Dienst verpflichtet, für den kein Bedarf besteht».

Mit dem Bürgerdienst würden gut qualifizierte Menschen aus dem Arbeitsleben gerissen und für «niedrigst qualifizierte Arbeiten» eingesetzt.

Balthasar Glättli pflichtet Pfister bei und nennt die Initiative absurd. Auch deswegen weil sie sich nicht festlege. Kritisiere man, dass der Service Citoyen zu einer Militarisierung führe, heisse es sofort: Nein, keine Angst, wir haben ein viel breiteres Verständnis von Sicherheit.

Kritisiere man umgekehrt, dass durch eine Verdoppelung der Dienspflichtigen es in gewissen Branchen zu Dumpinglöhnen kommen könnte, weil günstige Zivis qualifizierte Arbeiterinnen und Arbeiter konkurrieren, heisse es: So ist das nicht gedacht, die Leute sollen schon hauptsächlich ins Militär:

«Die Initiative ist ein Chamäleon. Je nachdem, mit welchem Argument man sie bekämpft, stellt sie sich anders dar»

Es ist vielleicht das grösste Problem des Service Citoyen. Er ist so ausgestaltet, dass er alle mit ins Boot holen will – Militärfreunde und Zivildienstfans, Anhängerinnen einer modernen Sicherheitspolitik gleichermassen wie Unterstützer einer traditionellen Milizarmee.

Und am Schluss ist niemand so recht überzeugt.

Gleichstellung oder Diskriminierung?

Es ist der Punkt der Initiative, der Feministinnen und Feministen vergrault: die Dienstpflicht für Frauen. Das Argument von Initiantin Roten: Gleiche Rechte bedeuten auch gleiche Pflichten. Artikel 59 in der Bundesverfassung, der die Dienstpflicht für Männer vorsieht, sei der letzte, der eine rechtliche Ungleichstellung aufgrund des Geschlechts kenne.

Balthasar Glättli widerspricht. Kritiker wie er verweisen auf Zahlen des Bundesamts für Statistik, die sagen: Frauen leisten pro Woche 34 Stunden unbezahlte Arbeit, Männer nur etwas mehr als 23.

Auf ein Jahr gerechnet: Eine Frau leistet volle 23 Tage mehr unbezahlte Arbeit als ein Mann.

Unter unbezahlter Arbeit versteht man Tätigkeiten wie Waschen, Bügeln, Kochen, aber auch Betreuung und Pflege von Angehörigen.

Glättli findet deshalb: So lange solche Diskriminierungen nicht eliminiert sind, muss man Frauen sicher nicht zu noch mehr schlecht bezahlter Arbeit verdonnern.

Was sagen die Schülerinnen?

In jeder Arena-Sendung sitzen Schulklassen im Publikum. Diesen Freitag sind es unter anderem Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Zimmerberg in der Nähe von Wädenswil (ZH).

Da von einer Annahme der Initiative vor allem junge Frauen betroffen sind, hat sich watson nach der Sendung bei den Schülerinnen umgehört. Würden sie die Service Citoyen-Initiative annehmen – auch wenn das für sie eine Dienstpflicht bedeuten würde?

Lilly (16) sagt: ja. «Wenn wir Gleichberechtigung wollen, müssen wir auch das gleiche leisten wie die Männer.» Gerade heute, in der es viele Krisen und Herausforderungen gibt, sei es wichtig, dass auch Frauen Verantwortung übernehmen.

Ihre Freundin Isabella (16) stimmt zu: «Ich habe Freundinnen, die gerne ins Militär gehen würden, sich aber nicht getrauen, weil es so männlich geprägt ist.»

Lilly (links) und Isabella würden Ja sagen zum Service Citoyen.
Bild: Watson

Leonie (16) würde den Service Citoyen ablehnen: «So lange Frauen mehr unbezahlte Arbeit leisten und weniger als Männer verdienen, finde ich es falsch, für sie die Dienstpflicht einzuführen»

Leonie hebt noch einen anderen Punkt hervor: «Was geschieht mit Familien? Wie verhindert man, dass beide Elternteile gleichzeitig Dienst leisten müssen?»

Leonie findet: Bevor für Frauen gleiche Pflichten gelten, sollten sie gleiche Rechte erhalten.
Bild: Watson

Für Teenagerinnen wie Isabella, Lilly und Leonie würde sich am meisten ändern, würde der Service Citoyen angenommen. Darüber abstimmen dürfen sie am 30. November aber nicht.