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Er duzt die Verkäuferin – diese ruft die Polizei: Ein Fauxpas kommt den 31-jährigen Metallbauer teuer zu stehen

Mehrfach vorbestraft, auf Bewährung wegen eines schweren Verkehrsdelikts und nach dem Kaffeekauf die Polizei am Hals.  Die Wahrnehmungen eines Konflikts.

Im Casino Railway in der Aarauer Einsteinpassage, eine Unterführung am Bahnhof. Ein Donnerstagabend im Juni. Es regnet.

A: Ein Rähmchen zum Kaffee?

B: «Hallo, ja gerne. Wie geht’s dir?»

A: «Seien Sie gefälligst respektvoll mit mir, sonst rufe ich die Polizei!»

So will es ein Metallbauer aus Eritrea, nennen wir ihn Natnael, erlebt haben. Gemäss seinen Erläuterungen nimmt er daraufhin seinen Kaffee mit, und verlässt das Railway im Wissen um seine Vorstrafen umgehend.

Natnael will keine Probleme mit der Polizei. Zusammen mit seinem Arbeitskollegen trinkt er den Kaffee halt beim Einsteindenkmal. Da tritt ein Security des Casinos zu den beiden. Er solle zurück und sich entschuldigen. Der Eritreer lehnt ab.

Er will nicht riskieren, dass die Polizei involviert wird, schildert er der Gerichtspräsidentin. Da wendet der Security Gewalt an. Natnael wird zu Boden gerungen. Im Handgemenge schüttet der Kaffee aus und verbrennt den Security. Der Eritreer wird ins Railway gebracht und festgehalten, bis die Polizei kommt.

Vor dem Einsteindenkmal soll der Beschuldigte seinen Kaffee getrunken haben.
Bild: Nadja Rohner

Zu viert sitzen sie dann im Casino. Während der Befragung wendet sich Natnael an die Serviceangestellte: «Du willst mich ins Gefängnis stecken. Ich habe keine Angst. Nur weil du einen Schweizer als Mann hast, wirst du nicht besser behandelt.» Gegen den Strafbefehl, der ihm zugestellt wird und in dem ihm die Staatsanwaltschaft mehrfache Drohung und Beschimpfung vorwirft, erhebt er Einsprache.

Bei Verurteilung würden ihm wegen einer seiner fünf Vorstrafen (grobes Verletzen der Verkehrsregeln) in Form einer Gesamtstrafe Kosten von 18’615 Franken zur Last gelegt. Er engagiert einen Rechtsanwalt.

Das war nicht die erste Begegnung

Gemäss dem Strafbefehl und den Aussagen der Klägerin verliefen die Geschehnisse an diesem Sommerabend anders. Der Strafbefehl erwähnt einen Vorfall zwischen den Beiden, der bei der erneuten Begegnung im vergangenen Juni bereits wenige Monate zurücklag. Auch der Security des Lokals gibt einen Vorfall vor drei Monaten zu Protokoll.

Auf die Aufforderung der Klägerin, der Beschuldigte solle sich bitte anständig äussern, sei dieser ausfällig geworden. Die Klägerin habe daraufhin den Sicherheitsdienst alarmiert. Der Beschuldigte und der Security hätten sich daraufhin ausserhalb des Casinos unterhalten, im Verlauf der Unterhaltung habe der Security aufgrund des Verhaltens des Beschuldigten die Polizei alarmiert.

Just als er das Telefonat beendet hatte, soll der Beschuldigte dem Security seinen Kaffee angeschüttet und ihn als Arschloch bezeichnet haben. Der Security führte den Beschuldigten im Nachgang zu Boden. Am Boden liegend soll er der Serviceangestellten, die sich angeblich in unmittelbarer Nähe befand, in amharischer Sprache gesagt haben, er gehe jetzt ins Gefängnis und, wenn er wieder draussen sei, werde er sie umbringen. Minuten später bei der Einvernahme durch die Polizei soll er diese Drohung wiederholt haben.

Zwei Geschichten, ein Urteil

Der Rechtsanwalt des Beschuldigten plädierte auf Freispruch. Er verwies auf widersprüchliche Schilderungen in den Einvernahmen und attestierte dem Security zumindest ein Motiv, falsche Aussagen zu machen. Dieser habe seinen Mandanten auf öffentlichem Grund angehalten, ohne dass der zuvor eine Straftat begangen habe. Da der Security auf öffentlichem Grund keine weiteren Rechte als eine andere Privatperson besitze, habe er somit rechtswidrig gehandelt, als er seinen Mandanten zu Boden geführt habe.

Weiter seien die Aussagen des Securitys und der Serviceangestellten nicht immer deckungsgleich gewesen. So sage die Klägerin, wie es auch im Strafbefehl steht, sein Mandant habe ihr zum ersten Mal gedroht, als dieser noch am Boden lag. Videoaufnahmen, die die Klägerin zum Festannahmezeitpunkt vor dem Lokal zeigten, müssten nahelegen, dass die Drohung geschrien oder zumindest sehr laut ausgesprochen worden sein müsse. Der Eingang des Lokals sei etwa 50 Meter vom Festnahmeort entfernt und im Protokoll des Securitys sei von einem lauten Schrei nichts zu lesen.

Das dürfte die Sicht der Serviceangestellten gewesen sein: Bei der goldenen Tafel im Hintergrund wurde der Beschuldigte zu Boden geführt. (Inzwischen wurde die Passage renoviert.)
Bild: Nadja Rohner

Was an diesem Abend im Juni genau geschehen ist, wissen weiterhin nur die Beteiligten. Fest steht jedoch, dass der Beschuldigte von der mehrfachen Drohung freigesprochen wurde. Schuldig gesprochen hat ihn das Gericht für die Beschimpfung des Securitys. Aufgrund seiner Vorstrafen verurteilte ihn das Amtsgericht Lenzburg-Aarau dennoch zu einer Gesamtstrafe von 45 Tagessätzen à 100 Franken. Da er aber in Belangen der mehrfachen Drohung freigesprochen wurde, fällt das Urteil milder aus.