
Gefährdet das neue Notkraftwerk in Birr die Trinkwasserversorgung der Gemeinde?
Das bestehende Notkraftwerk von General Electric in Birr ist laut und dreckig:Das hat sich bei einem zweistündigen Testbetrieb der Anlage im Februar gezeigt.Schon zuvor war klar, dass die acht Turbinen, die mit Öl und Gas befeuert werden können, die Lärmschutz- und Luftreinhaltevorschriften verletzen. Weil die Anlage unter Notrecht erstellt und bewilligt wurde, könnte sie bei einer Strommangellage trotzdem in Betrieb genommen werden.
Seit gut einer Woche ist klar: Möglich wäre dies nur noch bis Frühling 2026.Die ursprünglichen Pläne des Bundes, die Bewilligung für das Reservekraftwerk zu verlängern,bis neue Anlagen als Ersatz bereitstehen, lassen sich nicht realisieren. Stattdessen soll ab Januar 2027 einGasturbinen-Prüfstand der Firma Ansaldo, der nur ein paar Hundert Meter weiter ebenfalls in Birr steht,für den Notfall zur Verfügung stehen.
Barbara Gloor, Frau Gemeindeammann von Birr, sagte dem«SRF-Regionaljournal», der Entscheid des Bundes sei grundsätzlich positiv. Die Turbine stehe in einer Halle und sei schon in Betrieb gewesen, «die Auswirkungen auf die Bevölkerung werden bestimmt geringer sein als bei der Anlage von General Electric». Zudem sei es erfreulich, dass die hohe Lärmschutzwand entlang der acht GE-Turbinen abgebaut werden könne.
Wasserverbrauch der Turbine im Fokus
Man werde aber die Folgen des neuen Projekts für die Gemeinde genau prüfen und die Interessen der Birrer Bevölkerung in den Verhandlungen bestmöglich vertreten, sagte Gloor. «Ein besonderes Augenmerk werden wir auf den Trinkwasserverbrauch der Turbine legen müssen.» Es sei wichtig, die Versorgungssicherheit der Gemeinde gewährleisten zu können. Das lässt aufhorchen, zumal die Klimastreik-Bewegung in einem Instagram-Post eine ähnliche Aussage macht.
Demnach verbrauche die Turbine enorm viel Trinkwasser, «sodass nicht einmal sicher ist, ob bei Betrieb der Trinkwasserbedarf der Gemeinde gewährleistet ist». Doch wie gravierend ist das Problem, und wie könnte es allenfalls gelöst werden? Sind bauliche Massnahmen wie zum Beispiel neue Pumpen nötig, um im Notfall die Wasserversorgung des Kraftwerks und der Bevölkerung sicherzustellen?
«Aktuell sind Abklärungen im Gange, um genau diese Fragestellungen zu klären», antwortet Frau Gemeindeammann Barbara Gloor auf diese Frage. Sie liefert auch Zahlen: Demnach verbrauchen Haushalte, Gewerbe und Industrie in Birr rund 400 Millionen Liter Wasser pro Jahr oder rund 1,095 Millionen Liter Wasser pro Tag. Die Gemeinde mit 4850 Einwohnerinnen und Einwohnern hat eine eigene Versorgung aus Grund- und Quellwasser.

Bild: Michael Hunziker
Zudem besteht eine Leitung zur Regionalen Wasserversorgung Birrfeld, der die Gemeinden Birr, Birrhard, Hausen, Lupfig, Mülligen und Windisch angehören. Gloor ergänzt, aktuell sei man «in den Vorbereitungsarbeiten zur Prüfung und Evaluation eines neuen und somit zusätzlichen Pumpwerks auf dem Gemeindegebiet von Birr».
Ansaldo-Chef: Derzeit kein Kommentar
Aber wie viel Wasser würde die Gasturbine des Reservekraftwerks im Betrieb verbrauchen? Und wie stellt sich Ansaldo zu den Aussagen, dass die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung problematisch sein könnte, wenn das Notkraftwerk läuft? Ansaldo-Schweiz-Chef Gerd Albiez schreibt auf Anfrage, man werde das Projekt in enger Abstimmung mit der Gemeinde Birr verfolgen. Er ergänzt, zum jetzigen Zeitpunkt kommentiere das Unternehmen keine Aussagen und mache keine technischen Angaben.
Vor gut drei Jahren war dieAnsaldo-Anlage schon einmal als mögliches Notkraftwerk im Gespräch.Bei einem Besuch der AZ sagte Albiez damals, es wäre machbar, die Testanlage in einer Mangellage rein für die Stromproduktion laufen zu lassen. Dafür bräuchte es Anpassungen baulicher und betrieblicher Art, denn die Turbine sei nicht auf einen kommerziellen Betrieb ausgerichtet.
Dies ist nun nötig und braucht seine Zeit, wie aus der Mitteilung des Bundes hervorgeht: Damit das Reservekraftwerk termingerecht zu Jahresbeginn 2027 bereitsteht, «muss der Vertrag mit Ansaldo Anfang Juli 2025 unterzeichnet werden». Für das ganze Projekt ist ein Kredit von 275 Millionen Franken bis ins Jahr 2030 notwendig. Diese Kosten sollen über den Strompreis an die Bevölkerung überwälzt werden.
Klimastreik-Bewegung kündigt Widerstand an
Die Klimastreik-Bewegung hatteim Herbst 2022 mit Aktionen und Kundgebungen gegen das Notkraftwerk von GE protestiert.Später wurde eine Anwohnerin unterstützt, die sich juristisch gegen die Bewilligung für die Anlage wehrte. Im Februar 2024 hiess dasBundesverwaltungsgericht eine Beschwerde der Frau gut und entschied, dass keine gesetzliche Grundlage für den Betrieb des Notkraftwerks gegeben sei.

Bild: Urs Flüeler / Keystone
Für die Klimastreik-Bewegung zeigt dieses Urteil, «dass fossil betriebene Infrastruktur zur Energiegewinnung nicht mehr tragbar ist». Dies solle auch für die Gasturbine in Birr gelten, heisst es in einer Medienmitteilung. Der Vertrag des Bundes mit Ansaldo dürfe nicht unterzeichnet werden, schreibt die Klimastreik-Bewegung weiter und ruft die lokale Bevölkerung auf, sich ihrem Widerstand gegen das neue Notkraftwerk anzuschliessen.
Wie erfolgversprechend eine erneute Beschwerde wäre, ist indes offen. Denn die Anlage von Ansaldo hat bereits eine Bewilligung für Tests von bis zu 800 Betriebsstunden pro Jahr. Das kantonale Umweltdepartement hat gemäss Mitteilung des Bundes bestätigt, dass die Bewilligung gültig bleibt, wenn Ansaldo die Turbine als Testanlage weiterbetreibt. Bei einer drohenden Strommangellage würde der Bund die Umnutzung als Reservekraftwerk auf Abruf mit einer Verfügung ermöglichen.