
Fall Raiffeisen: Hilflose Zürcher Justiz fährt mit Razzia bei «Inside Paradeplatz» ein
Was ist geschehen? – Am 3. Juni, 8 Uhr morgens, marschiert ein Zürcher Staatsanwalt samt polizeilicher Unterstützung in der Redaktion des Onlinemagazins «Inside Paradeplatz» auf. Im Büro des Journalisten und Herausgebers wurden Unterlagen beschlagnahmt und auf Antrag versiegelt. Das Zürcher Obergericht hatte die Razzia auf Druck eines Privatklägers angeordnet: «Eine Hausdurchsuchung; eine Durchsuchung von Aufzeichnungen; eine Durchsuchung von Personen und Gegenständen.» Der richterliche Befehl mag juristisch korrekt sein, faktisch ist er hochproblematisch: Eine Razzia auf einer Medienredaktion ist ein schwerer Eingriff in die Medienfreiheit.
In der Aktion kulminieren zwei Irrläufe der vergangenen Jahre. Zum einen eine Rechtsverschärfung, die ihr unrühmliches zehnjähriges Bestehen feiert und – Irrtum vorbehalten – noch nie zu einem Schuldspruch geführt hat. Es geht um den berühmten Artikel 47 im Bankengesetz, mit dem sich Medienschaffende seit 2015 strafbar machen, wenn sie Informationen, die als Bankgeheimnis gelten, auch bloss weiterverbreiten. Mit diesem Paragrafen, der nicht zuletzt im Widerspruch zum Quellenschutz steht, ist eine Strafanzeige und die damit verbundene Hausdurchsuchung begründet.
Ein Irrlauf ist auch, was bei der Raiffeisen-Gruppe unter der Führung von Pierin Vincenz geboten wurde. «Inside Paradeplatz» schrieb 2016 aufgrund von internen Informationen der Bank Bär erstmals über unsaubere Insidergeschäfte. Die journalistischen Berichte stiessen die juristischen Ermittlungen an, die 2022 zur erstinstanzlicher Verurteilung der Verantwortlichen zu mehrjährigen Gefängnisstrafen führten. Auch wenn die Urteile noch nicht rechtskräftig sind, ist damit das öffentliche Interesse an der Publikation eindeutig gegeben.
Dass der erstinstanzlich verurteilte Beat Stocker als Privatkläger versucht, alle Rechtsmittel auszunutzen, um den Anfangsverdacht zu diskreditieren, ist sein Recht. Dass die Justiz dafür Hand bietet, ist allerdings ein Armutszeugnis. Schliesslich ist Artikel 47 nicht nur an sich problematisch, das Parlament hat ihn auch in einem anderen Kontext gutgeheissen: Er sollte Medienschaffende abschrecken, mit Bankangestellten zu dealen, die Kundendaten auf CDs kopiert haben. Nun hilft er einem mutmasslichen Täter sich als Opfer zu stilisieren.
Bereits der zeitliche Ablauf des Verfahrens zeigt die Absurdität: Die Beiträge auf «Inside Paradeplatz» erschienen 2016. Drei Jahre später erst berichtete die «Handelszeitung» von einer «nicht geahndeten Bankgeheimnisverletzung». Da eine solche ein Offizialdelikt darstellt, sah sich die Staatsanwaltschaft nun gedrängt, ein Strafverfahren gegen unbekannt zu eröffnen. Wer innerhalb der Bank Bär möglicherweise gegen das Bankkundengeheimnis verstossen hat, wird unbeantwortet bleiben. Ermittelt wird einzig noch gegen den Journalisten, gegen den seit Herbst 2024 direkt ein Strafverfahren läuft.
Der Staatsanwaltschaft ist zugute zu halten, dass sie sich an diesem Kesseltreiben eigentlich nicht beteiligen wollte. Zweimal sistierte sie das Verfahren, zweimal ordnete das Obergericht nach gutgeheissenen Beschwerden die Wiederaufnahme an. Mediale Unterstützung für die Haltung des Obergerichts lieferte dafür indirekt die «Neue Zürcher Zeitung». Diese schrieb 2023 von der «schwersten publik gewordenen Bankgeheimnisverletzung der vergangenen Dekade» und orakelte, ob die Staatsanwaltschaft sich defensiv verhalte, weil sie «vielleicht eine negative Haltung gegenüber den Opfern der Bankgeheimnisverletzung» habe.
Auch unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit stellt sich die Frage, was eine Hausdurchsuchung neun Jahren (!) nach der mutmasslichen Bankgeheimnisverletzung eigentlich bringen soll. Ungewiss ist nun nicht nur, ob sich ein Richter findet, der einer Entsiegelung der beschlagnahmten Dokumente und Datenträger zustimmt.
Unwahrscheinlich ist vor allem auch, dass sich nach dieser Zeit noch sachdienliche Hinweise finden lassen. Immerhin richtet sich die Zwangsmassnahme gegen einen sehr erfahrenen Journalisten, der von der Strafermittlung wusste und mit sensiblen Informationen umzugehen weiss – auch wenn er mit dieser Dreistigkeit der Justiz nicht rechnen musste.
Auftrieb gibt diese Razzia all jenen wohlhabenden Einzelpersonen oder Firmen, die gegen Medienschaffende vorgehen, die sich erlauben, von ihnen ein anderes als das gewünschte Bild zu zeichnen. Die Medien sind dabei auf eine Justiz angewiesen, die sich nicht als Handlanger dieser Kreise gebärdet, sondern die Arbeit der Medienschaffenden schützt.