
«Bei allen Onlinetestkäufen kamen Minderjährige an Alkohol» – hinkt das Aargauer Gesetz hinterher?
Ein lauer Sommerabend irgendwo im Aargau: In einem Park sitzt eine Gruppe Jugendlicher, es wird ein Handy herumgegeben. Der Reihe nach fügen sie auf der App eines Essenslieferanten eine Pizza in den Warenkorb. Die meisten wählen eine Dose Bier dazu. Bezahlt wird online, bei der Alterskontrolle geben sie ein falsches Geburtsdatum ein. Kurze Zeit später fährt ein Lieferant vor, übergibt die Bestellung und verschwindet wieder. Ob die Jugendlichen volljährig sind, kontrolliert er nicht.
Eine solche Szene könnte sich im Aargau tatsächlich abspielen. Denn für minderjährige Personen ist es hier ein Leichtes, online Alkohol zu kaufen. Zu diesem ernüchternden Fazit kommt der Kanton im Rahmen einer Testkaufkampagne. «Bei allen Onlinetestkäufen zwischen Februar und Dezember 2024 kamen Minderjährige im Kanton Aargau an Alkohol», teilen die Verantwortlichen mit. Kein einziger der 15 Händler hielt sich an alle Jugendschutzregeln.
Überprüft wurden einzig Restaurants oder Take-aways, die Alkohol via Onlinebestellung und Lieferdienst verkaufen. Um einiges grösser wäre die Zahl wohl, wenn der Kanton auch Getränkehandlungen testen würde, die über ihre Website Spirituosen, Wein und Bier anbieten. Doch das ist derzeit nicht möglich.
Onlinehändler entscheiden selbst, wie sie das Alter prüfen
Eigentlich ist der Fall klar: «Betriebe, die Alkohol über den Onlinehandel abgeben, müssen ein wirksames System für die Alterskontrolle haben und sicherstellen, dass dieses funktioniert», hält das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen in einem Schreiben an die kantonalen Kontrollbehörden fest. Wie sie das technisch umsetzen, sei den Onlinehändlerinnen und -händlern überlassen.
Das Bundesamt nennt lediglich in einer «nicht abschliessenden Aufzählung» Massnahmen, welche als genügend respektive ungenügend gelten. Zu ersteren zählt beispielsweise die Altersprüfung im Onlineshop durch das Einsenden einer Kopie eines amtlichen Ausweises. Auch eine Altersprüfung bei der Lieferung oder beim Abholen an einem Pick-up-Point wären ausreichend. Als ungenügend bezeichnet der Bund die Angabe des Geburtsdatums oder die Checkbox «über 18» auf der Website.
Was passiert nun mit Pascal Furers Weinautomat?
Jüngst berichtete die AZ über den Weinautomaten, den der SVP-Grossrat und Winzer Pascal Furer in Staufen betreibt.Während der Recherche ergab sich, dass der Automat nicht zulässig ist. Er wurde daraufhin von Lebensmittelkontrolle überprüft.
Bisher hat Furer noch keinen Bescheid vom Kanton erhalten. Er ist überzeugt, dass sein System legal ist, da vor Ort der Scan eines Ausweises notwendig ist. Sein Automat funktioniert zudem als Pick-Up-Point, so wie er im Schreiben des Bundes an die Kantone erwähnt wird: Wer auf Furers Website Wein bestellt, kann ihn vor Ort abholen – und muss auch dafür die ID scannen.Diese Alterskontrolle funktioniere im Gegensatz zu den meisten Onlineshops, sagte er jüngst zur AZ.
Ob es sich beim Weinautomaten in Staufen tatsächlich um einen Ausnahmefall handelt, und ob über den Betrieb bereits einen Entscheid gefällt wurde, kann der Kanton aufgrund laufender Abklärungen nicht sagen, wie dieser auf Anfrage betont. (mel)
Gesetzlich niedergeschrieben sind diese Punkte nicht. Für die Kontrolle und Massnahmen bei Verstössen ist im Aargau das Amt für Verbraucherschutz des Departements Gesundheit und Soziales verantwortlich. Bis September 2024 hat dieses Onlinetestkäufe durchgeführt. Doch wegen einer neuen Rechtslage im Tabakprodukte- und Lebensmittelgesetz ist das nicht mehr möglich.
«Im Moment haben wir die Weisung vom Bund, dass wir keine Testkäufe durchführen dürfen. Denn diese setzen die Anonymität der Minderjährigen Testkäuferinnen und -käufer voraus, und die ist derzeit nicht gewährleistet», erklärt Karsten Hötzer, Inspektor Gebrauchsgegenstände, des Amts für Verbraucherschutz.
Die elektronische ID könnte Abhilfe schaffen
Das zuständige Departement bestätigt auf Anfrage, dass es sich bei solchen Online-Alkoholkäufen um ein neueres Phänomen handle, für welche man das Gesetz zuerst anpassen müsse. «Das ist alles noch am Werden», so Hötzer. Am 28. September stimmt das Volk über die Einführung einer elektronischen Identitätskarte (E-ID) ab. «Damit wären Onlinetestkäufe wieder möglich», sagt er.
Die E-ID würde auch ein Alterskontrollsystem für den digitalen Alkoholeinkauf vereinfachen. «Ziel ist es, dass alle Onlinehändler ein Altersverifizierungsprogramm verwenden», sagt Susana Alt, Leitung Testkäufe vom Blauen Kreuz Aargau-Luzern.
Dieses würde optimalerweise so funktionieren wie die Verifizierung bei der Online-Eröffnung eines Bankkontos. Dass man also nicht nur seine ID, sondern auch sein Gesicht fotografieren muss. Für eine Gesetzesänderung sei es höchste Zeit, so Alt. «Es müssen gravierende Massnahmen unternommen werden.»
Ab 2026 wird eine fehlende Alterskontrolle angezeigt
Der Kanton kontrolliert derzeit stichprobenweise der Aufbau der Websites von Onlinehändlern. «Wenn die Alterskontrolle für uns ungenügend ist, nehmen wir mit den Verantwortlichen Kontakt auf», erklärt Hötzer. Diese müssten dann belegen, wie sie das Alter zusätzlich zur Massnahme im Internet kontrollieren. Können sie das nicht, werden die Verantwortlichen lediglich aufgeklärt.
Ab 2026 wird sich das ändern. «Dann werden wir gegen Personen, die ohne Alterskontrolle Alkohol verkaufen, Strafanzeige einreichen», kündigt Hötzer an. Möglich wird das durch das neue Tabakproduktegesetz: Testkäufe können dann erstmals rechtlich verwertet werden – und zwar nicht nur bei Tabak, sondern auch bei Alkohol.
Das betrifft dann ebenfalls alle anderen Betriebe, die Spirituosen und Co. anbieten. Zum Beispiel die Verkäufer in den 54 Fällen, die 2024 bei Testkäufen im Aargau Alkohol oder Tabakprodukte an 14- bis 17-Jährige abgegeben haben.