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Streit um PK-Reform: Macht die Zinswende die Senkung des Umwandlungssatzes unnötig?

Wegen der Zinswende sei die Pensionskassenreform aus der Zeit gefallen, sagen die Gegner. Experten widersprechen. 

Nach zähem Ringen hat das Parlament eine Reform der beruflichen Vorsorge durchgebracht. Doch ob sie je in Kraft tritt, ist ungewiss. Gewerkschaften, SP und Grüne sammeln Unterschriften für ein Referendum, um die Reform an der Urne zu Fall zu bringen. Ihr Hauptargument: Viele Erwerbstätige müssten mehr in die zweite Säule einzahlen und erhielten trotzdem weniger Rente.

Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard bezeichnete die Reform unlängst als «aus der Zeit gefallen». Seine Kritik zielt auf ein Kernelement der Vorlage: die Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent, die ohne Kompensation zu tieferen Renten führt. Das sei eine Idee aus der Zeit der Negativzinsen, argumentiert er. Tatsächlich ist in letzter Zeit das Zinsniveau gestiegen, was das Renditepotenzial auf dem Vorsorgevermögen erhöht.

«Leidtragende sind die jungen Versicherten»

Dennoch widersprechen Experten dem Gewerkschaftsbund. «Die Argumentation, es brauche wegen der Zinswende keine Senkung des Umwandlungssatzes mehr, ist absurd», sagt Reto Leibundgut, Pensionskassen-Experte beim Beratungsunternehmen C-alm.

Er zieht den Vergleich zu 2010, als das Stimmvolk über den Umwandlungssatz abstimmte und eine Senkung ablehnte: «Heute ist die Umverteilung zwischen Jung und Alt sogar grösser als damals, der Handlungsdruck also gewachsen.» Der gesetzliche Umwandlungssatz sei «massiv überhöht».

Der hohe gesetzliche Umwandlungssatz bringe nicht die Pensionskassen in Nöte, stellt Leibundgut klar. «Sie haben das Problem für sich gelöst.» Auch BVG-nahe Kassen stünden nicht mit dem Rücken zur Wand. «Leidtragende sind vielmehr die jungen Aktiv-Versicherten – also die Erwerbstätigen, die in die Pensionskasse einzahlen. Sie müssen von einer Umverteilung geschützt werden.» Dafür brauche es eine Senkung des gesetzlichen Umwandlungssatzes.

Umverteilung wird mit der Reform reduziert – verschwindet aber nicht

Auch Experte Thomas Breitenmoser sagt, die Zinswende mache die Senkung des Umwandlungssatzes keineswegs überflüssig. Er ist Leiter Investment-Controlling und Consulting beim Finanzdienstleister Complementa. Selbst mit der Reform sei das Problem noch nicht ganz gelöst, sagt er. «Die Umverteilung von Jung zu Alt und vor allem vom Überobligatorium zum Obligatorium wird zwar weniger dramatisch, verschwindet aber nicht ganz.»

Experte Breitenmoser argumentiert nicht politisch, sondern rein mit Zahlen. Wie viel Rente aus dem angesparten Altersguthaben ausbezahlt werden kann, ergibt sich im Grundsatz aus zwei Faktoren: der Lebenserwartung und dem Zinsertrag. Bei einem Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent bräuchte es laut Breitenmoser aktuell ein Zinsversprechen von 4,8 Prozent, damit die Renten ohne systemwidrige Umverteilung ausbezahlt werden können.

Die Pensionskassen müssten also auf dem Kapital der laufenden Rentenbezüger jährlich 4,8 Prozent verdienen, damit es zu keiner Umverteilung kommt. Bei einem Umwandlungssatz von 6,0 Prozent, wie es die Reform vorsieht, sänke dieser Zinssatz derzeit auf 3,6 Prozent. «Damit wäre man näher an der Realität», sagt Breitenmoser. Die zurzeit erwartete Rendite von durchschnittlichen Pensionskassen liege bei etwa 3,4 Prozent; abzüglich Kosten sei man bei gut 3,2 Prozent.

Steigende Lebenserwartung erhöht den Druck

Die Umverteilung würde also nicht ganz verschwinden, aber deutlich reduziert. In den nächsten Jahren dürfte sie eher wieder ansteigen, sagt Breitenmoser: «Die wichtigste Komponente, die den Umwandlungssatz unter Druck setzt, ist die Lebenserwartung, und diese dürfte weiter steigen.»

Der Gewerkschaftsbund findet trotz der Aussagen der Experten: Die Renten müssten nun steigen, nicht sinken. Die Negativzinsen seien in den letzten Jahren das Hauptargument für die Rentensenkungen der PK im Überobligatorium gewesen, sagt Sprecher Urban Hodel. Durch die rasche Zinswende müssten die Renten jetzt der Teuerung angepasst werden.

«Es gibt Pensionskassenexperten, welche die Renten-Garantien offenbar immer weiter senken wollen», so Hodel. Die Pensionskassen seien in den letzten Jahren jedoch übervorsichtig gewesen und hätten hohe Rückstellungen gebildet. Deshalb gebe es jetzt Spielraum für Rentenverbesserung und Teuerungsausgleich.

Überobligatorium: Höhere Renten in Sicht?

Die meisten Versicherten sind im Überobligatorium versichert und vom gesetzlichen Umwandlungssatz nicht betroffen. Die Pensionskassen haben diese Umwandlungssätze in den letzten Jahren längst deutlich unter 6 Prozent gesenkt. Nun, da die Zinsen steigen, stellt sich die Frage: Geht es jetzt in die andere Richtung?

Experte Leibundgut warnt davor, die Umwandlungssätze vorschnell zu erhöhen. «Wir dürfen nicht die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen.» Schliesslich gelte der festgelegte Satz von der Pensionierung bis zum Tod, also während 20 bis 25 Jahren. «Darum muss man Vorsicht walten lassen, sonst gibt es erneut eine Umverteilung.»

Er rät Pensionskassen, den Umwandlungssatz lieber etwas tiefer zu lassen und sich dafür zu verpflichten, im Fall von systematisch höheren Anlageerträgen eine faire und transparente Überschussbeteiligung zu machen. Das heisst: Erwirtschaftet eine Pensionskasse in einem Jahr einen grossen Ertrag, sollen die Versicherten und die Rentenbezüger beteiligt werden – und zwar vor allem jene, die beispielsweise wegen eines tiefen Umwandlungssatzes schlechter gestellt sind. «Es wäre falsch, ein solches System gesetzlich einzuführen, denn das können die Kassen am besten selber entscheiden», sagt Leibundgut.