
Gläubig sind wir sowieso: Drei Irritationen vom Petersplatz
Nein, mit Glauben haben wir nichts im Sinn, mit der Kirche sowieso nicht; wir sind aufgeklärt, sehen die Dinge rational, pochen auf Selbstbestimmung: Das ist – grosso modo – die Mentalität der meisten, mit denen ich verkehre. Doch als sich jetzt die Aufmerksamkeit auf den Vatikan richtete – Tod des alten Papstes, Erscheinen des neuen –, da meinte ich, wahrzunehmen, wie diese Haltung bei manchen elastischer wurde. Auch entschiedene Freigeister waren beeindruckt, blickten auf den Rauch aus dem Kamin. Nicht, dass sie gleich religiös wurden, katholisch schon gar nicht; und doch mischten sich ein paar Irritationen in den selbstgefälligen Denkmix.
Irritation eins: Ist das Alte gar nicht antiquiert? Denn immerhin: Wer 2000 Jahre überlebt, kann unmöglich alles falsch gemacht haben. Natürlich fragten Journalisten und ungeduldige Gläubige reflexhaft: Ist der Neue ein Erneuerer, macht er endlich vorwärts mit Reformen? Doch was viele ansprach, war eben nicht das Fortschrittliche, sondern das Herkömmliche: Tradition, Ritual, Glaube – was sich über Jahrhunderte bewährt hat und weiter massenhaft Menschen (ausser bei uns) anzieht, weil sie da offenbar eine Heimat finden, spirituell wie sozial, so durchzogen uns diese Geschichte auch vorkommt.
Verbundenheit samt Tradition und Transzendenz. Fast zu beneiden. Wäre da nicht manches Bornierte, auch Heuchlerische, auf das schon Nietzsche zielte: «Die Christen müssten mir erlöster aussehen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte.» Bravo. Nur, wie sehen denn wir Ungläubige aus? Erlöster?
Irritation zwei: Ist, was Religionen erzählen, mehr als ein Kindermärchen? Dass im Universum und in seinen Naturgesetzen mehr am Werk ist als Zufall. Weil all das – die Galaxien da draussen und das Gewimmel da drinnen – so sensationell aufeinander abgestimmt ist. Oder ist das nichts, kein Plan, keine Absicht, wie wir Freigeister denken? Wir stecken halt selbst drin im Gewimmel. Da könnten wir genauso gut die Schnecken im Garten fragen, ob sie an eine Kantonsregierung glauben.

Bild: zvg
Klar, Charles Darwin durchschaut die Entstehung der Arten ganz anders als die Schöpfungsgeschichte mit ihrer Siebentagesagenda. Physiker blicken tiefer ins All, neuerdings gar in Schwarze Löcher.
Doch wo sie zu deuten anfangen, werden sie ähnlich «spekulativ» wie die Metaphysik: Beide entwickeln Modelle, «Weltformeln», die sich einen Reim auf die Phänomene machen. Einen Reim machen, das läuft nie exakt, das dreht sich letztlich um die Frage, ob es im Ganzen überhaupt «um etwas geht» – oder ob es Zufall ist und kalte Notwendigkeit (Jacques Monod).
Der Glaube sieht höhere Mächte im Spiel, die interessieren sich für uns, haben mit uns etwas vor. Mir ist das weniger klar. Auch wenn ich nicht verstehe, warum wir uns einem Michelangelo oder einem Franz von Assisi überlegen fühlen sollten. Weil wir Autos haben, iPhones? Ich sehe den neuen Papst – und gar keinen Grund, mich klüger zu dünken. Wie damals, als ich dem Starphysiker Werner Heisenberg zuhörte: «Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, doch auf dem Grund des Bechers wartet Gott.» Wie heute bei Heino Falcke, dem Astrophysiker von Weltrang – und sonntags Laienprediger.
Heisst das: Mit Wissen kommen wir ganz gut durch die Woche; sobald das Leben ernst wird, übernimmt der Glaube?
Irritation drei: Glauben wir am Ende sowieso? Wir sehen im Glauben gern den rückständigen Status unaufgeklärter Menschen – und uns Aufgeklärte im Licht der Vernunft unterwegs. Dabei spielt Wissen im exakten Sinne kaum eine Rolle, wo das Leben konkret wird. Gehen Verliebte nach Methoden wissenschaftlicher Evaluation vor? Es wäre das Ende des Geheimnisses der Liebe.
Entscheidet die Managerin nach Vorgabe der Wissenschaft? Sie entscheidet über Zukunft, da gibt es wenig zu wissen; sie braucht einen Riecher – Glaube, Hoffnung, Zuversicht. Sucht die Krebskranke Trost in Statistiken? Sie sucht so etwas wie «Sinn» für ihr Schicksal. Das ist von keinem Wissen zu haben.
Gläubig sind wir also sowieso. Manche auch wissenschaftsgläubig.
Die Irritationen sind wohl bald wieder weg. Darum dieser Text, auch als Selbstgespräch. So lästig es ist, meine Einstellung irritieren zu lassen: Ohne Irritation wird sie einfältig.