
Platz 10 am ESC ist für Zoë Më gut, und doch schwingt Enttäuschung mit: Schuld ist das Voting-Publikum
Bis zuletzt konnten wir mit Zoë Më auf die grosse Überraschung hoffen. Doch die Null Punkte vom Publikum waren ein Schock. Unsere Gefühlswelt schwankt seither zwischen «Kann das sein?», «Das muss eine Panne sein!» und «Was für eine Frechheit!».
Selbst mit etwas emotionaler Distanz, können wir den Publikumshammer immer noch nicht so richtig nachvollziehen. Zoë Më hat aus unserer Sicht einen fantastischen Auftritt hingelegt. Sehr souverän, authentisch und ruhig. Stimmlich sicher und berührend, die Freiburgerin wirkte sehr entspannt und hat grossartig gesungen.
Diesmal war auch keine technische Panne zu beklagen. Die Kameraführung hat die Intimität des Liedes wunderbar verstärkt. Ein Hauch von Magie wehte durch die Halle. Das war jedenfalls unser Eindruck.
Ein toller Auftritt der Freiburgerin mit Basler Wurzeln
Zoë Më muss sich gar nichts vorwerfen. Sie hat ihre Sache toll gemacht, hat Mut bewiesen und ist sich selbst geblieben. Die Qualität stimmt, das hat die Fachjury mit ihrem Votum bestätigt. Tröstlich ist auch, dass «Voyage» mit dem Preis für die beste Komposition ausgezeichnet wurde. Und doch passte Zoë Më vielleicht doch nicht ganz in diesen schrillen Anlass.

Georgios Kefalas / KEYSTONE
Deutlich geworden ist, wie gross die Voten zwischen der Fachjury und dem Publikum auseinanderklaffen können. Das ESC-Publikum hat das Schweizer Kontrastprogramm ganz offensichtlich nicht goutiert. Ruhe und Reduktion sind nicht die Mittel, um das Publikum in diesem Rahmen zu gewinnen. Es will Spektakel, Drama und Klamauk. Es darf schon Ballade sein, aber sie muss explodieren und in emotionalen Überschwang münden.
Und wir erinnern uns: Schon Marius Bear ist mit seinem unspektakulären, ruhigen Song beim Publikum durchgefallen. Auch bei seinem «Boys do cry» fehlte am Schluss der richtige Höhepunkt.

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Die Schweiz ist seit 2019 im ESC top
Nüchtern betrachtet, können wir sagen, dass Zoë Më mit dem 10. Platz das Minimalziel der Schweizer Delegation erreicht hat. Sie steht in einer Reihe von guten bis sehr guten Resultaten, die die Schweiz seit dem vierten Platz von Luca Hänni 2019 erreicht hat. Der Aufschwung hält an, das hat Basel bestätigt. Der ausgezeichnete Ruf des Landes in der ESC-Gemeinde wurde gefestigt. Und doch schwingt Enttäuschung mit. Ja, wir haben uns mehr erhofft.

Rafael Hunziker
Auch am diesjährigen ESC war die Schweiz an vier Songs beteiligt. Neben jenem von Zoë Më, am Siegersong «Wasted Love» von Österreich und jenen von Malta und Armenien. Alle haben sich für das grosse Finale in Basel qualifiziert. Zwei davon, «Wasted Love» und «Voyage», haben sich im Kreis der besten Zehn platziert, alle vier sind in den Top 20. Aber wir können Eurovision. Die Schweiz ist in Sachen ESC eine Macht.

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Dieses Gefühl entspricht dem neuen Ehrgeiz der Schweiz in Sachen ESC. Die Erfolge der letzten Jahre haben die Erwartungen erhöht. Wir haben den Eurovision Song Contest vielleicht nicht erfunden,wie es im Showbeitrag «Made In Switzerland» von Lukas Hobi und Christian Knecht ironisch heisst. Aber die Schweizer Musikszene mit seinen Interpretinnen, Produzenten und Komponistinnen haben sich in Europa in letzter Zeit von ihrer besten Seite gezeigt.
SRF muss nächste Entwicklungsstufe zünden
Umso wichtiger ist, dass wir die richtigen Lehren ziehen und uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen. SRF sollte die geweckte Euphorie, den ESC-Hype von Basel sowie das musikalische Potenzial im Land nutzen und die nächste Entwicklungsstufe zünden. Spardruck und Halbierungsinitiative hin oder her. Ziel müsste ein nationaler Song-Wettbewerb sein wie ihn die Italiener in San Remo und Schweden mit dem Musikfestivalen seit Jahrzehnten kennen.