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Angst vor Atombomben: Erhöhte Nachfrage in Schweizer Apotheken nach Jodtabletten – das gilt es zu beachten

Wegen des Krieges in der Ukraine steigt die Angst vor einer nuklearen Katastrophe. Schweizer Apotheken verzeichnen deswegen eine erhöhte Nachfrage nach Jodtabletten. Allerdings schützen diese nur bedingt.

Seit nunmehr fast einer Woche herrscht in der Ukraine Krieg. Russische Truppen versuchen, die Kontrolle über die grossen Städte zu gewinnen, die Ukrainer leisten erbitterten Widerstand. Die Russen können erste Gebietsgewinne verzeichnen, auch wenn sie weniger schnell vorankommen, als Präsident Wladimir Putin das geplant hatte.

Angst vor nuklearer Katastrophe

Unter Kontrolle der Russen ist etwa die ukrainische Atomruine Tschernobyl. Nach der Eroberung des früheren Atomkraftwerks wurde eine erhöhte Strahlung festgestellt. Gefährlich ist diese nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) jedoch nicht. Die erhöhte Strahlung, die am Freitag gemessen wurde, könnte laut ukrainischen Behörden durch Militärfahrzeuge aufgewirbelt worden sein. Der Boden ist nach der Atomkatastrophe von 1986 noch immer belastet.

Explodierter Kernreaktor in Tschernobyl: Das Gebiet ist jetzt unter russischer Kontrolle.
AP

Dennoch steigt in Europa die Angst vor einer erneuten nuklearen Katastrophe. Die Ukraine hat insgesamt 15 aktive Atomreaktoren, die Gefechte finden teilweise in unmittelbarer Nähe davon statt.

So kursierte am Montag zunächst die Nachricht, dass Russland das Kernkraftwerk Saporischschja eingenommen habe, wo sechs Reaktoren stehen. Die Ukraine behauptete jedoch später, dass sie nach wie vor die Kontrolle über das Kernkraftwerk habe.

Beunruhigend wirkte zudem die Anordnung Putins, die Abschreckungswaffen in verstärkte Alarmbereitschaft zu versetzen. Der russische Präsident erwähnte die Atomwaffen nicht explizit, sie sind aber Teil der Abschreckungswaffen.

Grössere Nachfrage nach Jodtabletten

Dass die Sorge vor einer nuklearen Katastrophe die Schweiz erreicht hat, zeigt sich in den Apotheken. Seit gestern hätten «viele Apotheken vermehrt Anfragen» zu Jodtabletten erhalten, teilt «pharmaSuisse», der schweizerische Apothekerverband, watson mit. Leo Grossrubatscher von der Dr. Andres Apotheke sagt:

«Wir haben auffallend viele Kundinnen und Kunden aus dem Ausland, die sich mit Jodtabletten eindecken wollen»

Eine «stark erhöhte Nachfrage» spürt etwa die Dr. Andres Apotheke in Zürich Stadelhofen. In den vergangenen Tagen seien viele Leute vorbeigekommen und hätten sich über die Jodtabletten informieren lassen, sagt Leo Grossrubatscher, der Geschäftsleiter der Apotheke. Einige von ihnen würden direkt mit dem Bezugsschein vorbeikommen und die Packung «Kaliumiodid» kostenlos abholen. «Viele wollen sich aber einfach mal beraten lassen», so Grossrubatscher.

Bezugschein für eine Packung Jodtabletten.

«Zudem haben wir auffallend viele Kundinnen und Kunden aus dem Ausland, die sich mit Jodtabletten eindecken wollen», erzählt der Apotheker. Diese hätten aber oftmals kein Rezept, weshalb die Tabletten nur im Ausnahmefall abgegeben würden. Eine Packung kostet fünf Franken.

Wovor schützen Jodtabletten überhaupt?

«Jodtabletten kommen bei einem schweren Kernkraftwerkunfall mit Austritt von radioaktivem Jod zum Einsatz», schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Sie verhindern, dass sich in den Schilddrüsen radioaktives Jod anreichert und Schilddrüsenkrebs entsteht.»

Bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk kann es zur Freisetzung radioaktiver Stoffe kommen. Dazu können Cäsium, Strontium und Jod gehören. Cäsium und Strontium werden vor allem über Nahrungsmittel in den Körper aufgenommen, dagegen helfen die Jodtabletten nichts. Gegen radioaktives Jod sind die Jodtabletten hingegen ein probates Mittel.

Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 wurde in Polen nicht radioaktives Jod an zehn Millionen Kinder und sieben Millionen Erwachsenen verabreicht. In Belarus hingegen verzichtete man auf die Einnahme von Jod, wie die Deutsche Apotheker Zeitung schreibt. Mit der Folge, dass in Belarus Schilddrüsenkrebs bei Kindern hundertmal häufiger auftrat.

«Im Grunde geht es darum, die Schilddrüse mit ausreichend Jod zu versorgen», erklärt Grossrubatscher. Falls es dann bei einem Unfall zum Austritt von radioaktivem Jod käme, würde dieses nicht mehr in der Schilddrüse abgelagert, sondern ausgeschieden.

Wer hat Jodtabletten zu Hause?

Rund 4,9 Millionen Personen sollten in der Schweiz schon Jodtabletten im Haushalt haben, schreibt das BAG. Der Bund verteilte 2014 die Tabletten an alle Haushalte, die im Umkreis von 50 Kilometern eines Kernkraftwerkes liegen.

Die Haushalte im violetten Bereich sollten bereits mit Jodtabletten versorgt sein.

Die Tabletten haben eine Haltbarkeit von zehn Jahren und müssen danach ausgetauscht werden. Deswegen wird der Bund die Jodtabletten das nächste Mal im Jahr 2024 wieder an die betroffenen Haushalte verteilen.

Auch für Personen, die nicht im Umkreis von 50 Kilometer um ein Kernkraftwerk leben, ist gesorgt. 2020 verteilte der Bund über vier Millionen Tabletten an 55 Lagerstandorte. Falls es zu einem Notfall kommt, sind die Kantone in der Lage, diese innerhalb von zwölf Stunden zu verteilen. Sprich: Etwa 50 Prozent der Bevölkerung hat die Tabletten bereits zu Hause, die andere Hälfte würde rechtzeitig damit versorgt.

Reto Steinmann vom Apothekerverband des Kantons Zürich sagt denn auch, dass «Hamstern» keine gute Lösung sei. «Falls jemand seine Tabletten nicht mehr findet, keine vom Bund erhalten hat und sich damit unsicher fühlt, können Kaliumiodid-Tabletten in der Apotheke gekauft werden.»

Keine frühzeitige Einnahme von Jod-Tabletten empfohlen

Leo Grossrubatscher.

Auch wenn viele Haushalte jetzt schon im Besitz von Jodtabletten sind, warnt Grossrubatscher davor, die Präparate prophylaktisch einzunehmen. «Wenn Sie jetzt jeden Tag zwei Jodtabletten schlucken, kann es zu Funktionsstörungen der Schilddrüse kommen.» Der Apotheker empfiehlt, den Anweisungen der Behörden Folge zu leisten. Bei einem Ereignisfall würde die Nationale Alarmzentrale NAZ Verhaltensanweisungen über die Medien verbreiten.

Bei einem Unfall mit einem ukrainischen Kernkraftwerk könnten sich die Jodtabletten tatsächlich als nützlich erweisen, meint Grossrubatscher. Anders würde dies beim Einsatz von Atombomben aussehen, denn dann würde wahrscheinlich auch die Belastung anderer radioaktiver Substanzen steigen. Die Jodtablette biete keinen generellen Schutz vor Strahlen. «Jodtabletten helfen zwar der Schilddrüse, jedoch kann diese den anderen Organen bei direkter Verstrahlung leider auch nicht helfen», so der Apotheker.