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Bergführer Roger Schäli: «Diesmal kamen viele mit einem blauen Auge davon»

Wanderungen durchs Val Roseg bei Pontresina könnten diesen Sommer schwierig werden: Ein Bergsturz hat das Tal gefüllt. Ein Bergführer war in der Nähe des Abbruches unterwegs am vergangenen Samstag.

Dieses Bild vergisst man so schnell nicht wieder: Das Val Roseg bei Pontresina, aufgefüllt mit schwarzem Gestein. Der Bergsturz hat sich über den Gletscher hinunter bis ins Tal gewälzt mit so viel Kraft, dass sich das Geröll sogar die Flanke auf der anderen Talseite hinaufstaute. Eineinhalb Kilometer vor dem Gasthaus Roseg stoppte die Naturgewalt.

Es war sehr warm in diesen Tagen, sogar in Pontresina wurde es am letzten Samstag bis 17 Grad warm. Der viele Schnee lag schwer auf den Bergflanken und hat den Abbruch wohl begünstigt. Nun ist von all dem nichts mehr zu sehen: Neuschnee hat sich auf die Geröllebene gelegt. In der Coazhütte, die am Ende des Tals hoch oben steht, sagt Hüttenwart Ruedi Schranz: «Es ist, wie wenn man Puderzucker über einen Kuchen streut. Da sieht man das Schwarze auch nicht mehr.»

Man müsse erst abwarten, bis der Schnee geschmolzen sei, um abschätzen zu können, wie viel geräumt werden müsse und wo der Hüttenweg künftig durchgehen werde. «Jetzt stört uns der Bergsturz nicht. Viele Skitourenfahrer kommen von der Bergbahn des Piz Corvatsch oberhalb von Silvaplana. Aber im Sommer ist der Weg durchs Rosegtal die Lebensader der Hütte».

Nicht nur die drei Skitourenfahrer, die das Bergsturzgelände kurz davor durchquerten, hatten Glück. Auch Bergführer und Extremkletterer Roger Schäli war an diesem Vormittag im Gebiet unterwegs: auf der anderen Seite des Bernina-Massivs, beziehungsweise des Piz Scerscen, von dem so viel Eis und Fels ins Rosegtal donnerten wie damals 2017 in Bondo.

Extremkletterer und Bergführer Roger Schäli.
Bild: Frank Kretschmann

Sie waren zum Glück auf der richtigen Seite des Bernina-Massivs an diesem Morgen!

Roger Schäli:Wir waren um 6.55 Uhr mit Gästen im Aufstieg zur Crast’Agüzza an der Grenze zu Italien, als auf der Schweizer Seite des Massivs der Bergsturz niederging. Meine Freundin, die bei der Rega arbeitet, wurde für einen Aufklärungsflug aufgeboten und vergewisserte sich, dass wir in Sicherheit sind. Die Rega kontrollierte, ob Personen in den Bergsturz geraten sind. Das waren Ausmasse wie am Cengalo in Bondo.

Diesen Bergsturz früh am Morgen konnte man nicht voraussehen, oder?

Er kam nicht ganz unerwartet. Es war extrem warm am letzten Wochenende, obwohl wir eigentlich noch Wintersaison haben. Wir brauchten auf 3000 Metern und trotz Wind keine Handschuhe. Aber in dieser Region hatten wir schon zweimal kleinere Erdrutsche. Betroffen waren schon damals die Normalwege auf den Piz Roseg und den Piz Scerscen von der Tschiervahütte aus. Geologen haben prognostiziert, dass dort noch mehr kommen wird. Aber dass so viel kommt, war schon überraschend.

Aufnahme aus der Luft: Der Geröllstrom auf dem Tschiervagletscher.
Bild: zvg

Das vergletscherte Gebiet oberhalb der Tschiervahütte im Val Roseg war also schon unter Beobachtung?

Ja. Die einheimischen Bergführer haben das Tal schon im letzten Sommer gemieden und keine Touren auf den Piz Roseg und den Piz Scercen mehr angeboten. Vereinzelt wurden die Gipfel aber noch gemacht.

Das Rosegtal weiter unten ist sehr touristisch – da gehen viele aus Pontresina wandern oder sind auf dem Hüttenzustieg zur Chamanna Coaz.

Ja, man hat nicht erwartet, dass so viel Gestein bis ins Tal runterkommt. Wäre der Bergsturz in der Sommersaison gekommen, hätte er tatsächlich nicht nur ein, zwei Seilschaften gefährdet, sondern viele Touristen im Tal.

Kurz davor an dem Morgen waren drei Skitourenfahrer von der Tschiervahütte aufgebrochen auf dem Weg zur Coazhütte. Die hatten Glück!

Ja, sie waren offenbar knapp vorbei, als der Bergsturz kam. Es kamen viele Leute mit einem blauen Auge davon dieses Mal. Es war einfach extrem warm. Leute, welche die Klimaerwärmung abstreiten, sind vermutlich nicht oft in den Bergen. Dort oben kann man das nicht mehr leugnen.

Es gibt auch Bergführer, die sagen, Erwärmungen habe es schon immer gegeben …

Ja, manche lassen sich von dieser tragischen Wahrheit weniger stressen. Natürlich hat es schon immer Temperaturanstiege gegeben, worauf wieder kalte Tage in den Bergen folgen. Aber dass die Erwärmung zu extrem geworden ist, ist offensichtlich.

Bereitet man sich als Bergführer anders vor, wenn es so wechselhaft geworden ist?

Wir sind generell einem höheren Restrisiko ausgesetzt. Der Bergführerberuf ist in einem Wandel, weil viele grosse Eis- und Felstouren nur noch Anfang Sommer machbar sind. Danach sind die Gletscher zu ausgeapert und das Steinschlagrisiko ist zu hoch in losen Geröllfeldern. Ab Mitte/Ende Juli kann man viele der klassischen grossen Touren nicht mehr machen, weil der Zustieg unmöglich wird.

Sollte man das Val Roseg diesen Sommer meiden?

Das muss zuerst von den Geologen untersucht werden. Als Bergführer ist man sicher wacher unterwegs. Dieses Jahr werden höchstwahrscheinlich der Piz Tschierva und Piz Scerscen von der Tschiervahütte aus nicht mehr gemacht.

Was ist mit der grössten alpinistischen Attraktion in dem Gebiet, dem Biancograt?

Der Biancograt, Bernina und Piz Palü sind tatsächlich wichtige Einnahmequellen in der Region. So wie ich das einschätze, sollte der Biancograt weiterhin machbar sein. Vorausgesetzt, keine neuen Steinschlagzonen tun sich auf. Auch der Piz Palü ist keine einfache Tour mehr. Und oft kann man als Bergführer nur noch einen Gast am Seil mitnehmen, wegen der Sicherheit.