Sie sind hier: Home > Aargau > «Ich hoffe, dass niemand in die Spielsucht fällt»: Beschuldigter soll über 56’000 Franken für illegales Glücksspiel zahlen

«Ich hoffe, dass niemand in die Spielsucht fällt»: Beschuldigter soll über 56’000 Franken für illegales Glücksspiel zahlen

Am Anfang stand ein Treffen mit Freunden während des Corona-Lockdowns. Vier Jahre später musste sich ein 41-Jähriger wegen illegalen Glücksspiels vor dem Bezirksgericht Kulm verantworten.

Ein gemütlicher Freitagabend in Halits (alle Namen geändert) Hobbyraum im Wynental. Sieben Freundinnen und Freunde kommen zusammen, trinken und jassen. Halit sitzt in der Sofaecke und zockt an einem Spielautomaten. Plötzlich steht die Kantonspolizei Aargau vor der Tür – und startet eine Hausdurchsuchung.

Denn es ist kein beliebiger Freitagabend, sondern Frühling 2020. Die Zeit des ersten Corona-Lockdowns, es gilt die «ausserordentliche Lage», Ansammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten. Die Kapo hat vor Halits Hobbyraum anscheinend mitgezählt und stürmt deshalb das Treffen.

Doch der Verstoss gegen die Covid-Verordnung war nicht der Grund, weshalb Halit jetzt vor dem Bezirksgericht Kulm erscheinen musste. Sondern die zwei illegal betriebenen Spielautomaten. Einer stand in der Sofaecke des Hobbyraums, der andere in der Küche.

Halit liess sich in allen Schweizer Casinos sperren

Halit soll gegen das Geldspielgesetz verstossen haben, weil er ohne Bewilligung Dritten den Zugang zum Glücksspiel ermöglicht hatte. Die Eidgenössische Spielbankkommission (ESBK) stellte in der Strafverfügung deshalb Forderungen über 56’000 Franken und beantragte eine Busse von 770 Franken sowie eine bedingte Strafe von 29 Tagessätzen à 110 Franken.

Weil Halit diese Forderungen nicht hinnehmen wollte, verlangte er die gerichtliche Beurteilung der Sache. Das geforderte Geld habe er nicht. Gerichtspräsidentin Yvonne Thöny Fäs sagte er: «Ich habe kein Erspartes.» Halit hat Schulden, er musste einen Bankkredit aufnehmen. Früher wohnte er mit seiner Frau und den zwei Kindern in einer Eigentumswohnung. Diese musste die Familie verkaufen. Denn Halit ist spielsüchtig.

«Ich spiele seit vier oder fünf Jahren nicht mehr und habe mich in allen Schweizer Casinos sperren lassen», erzählte der Beschuldigte. Früher habe er seinen ganzen Lohn verprasst. «Ich habe sehr darunter gelitten. Ich hoffe, dass niemand in die Spielsucht fällt.» Inzwischen erlaube er sich einmal pro Jahr einen Ausflug ins Casino in Bregenz. Dann nehme er 400 bis 500 Euro mit und lasse seine Bankkarten zu Hause.

Eine Therapie gegen seine Spielsucht habe er nie gemacht, erzählte Halit vor Gericht. Er versuche, sein Suchtverhalten auf andere Weise auszuleben und kaufte sich deshalb die zwei Spielautomaten für 800 Franken. Diese stellte er in seinem Hobbyraum auf.

Der Hobbyraum des Beschuldigten befand sich im Dachstock eines Gewerbegebäudes im Wynental. Im Erdgeschoss versuchte Halit ein Pneuhaus aufzubauen. Der gebürtige Türke kam vor über dreissig Jahren in die Schweiz, machte eine Lehre als Reifenpraktiker und arbeitet heute als Logistiker. Viel Geld brachte das Pneu-Business nicht ein, aber der Hobbyraum etablierte sich in seinem Bekanntenkreis als Treffpunkt.

Zeugen wussten nichts vom zweiten Spielautomaten

«Am Wochenende waren jeweils fünf bis sechs Personen dort», sagt Halit. Die Leute hätten erst angerufen, ob er da sei. Denn offizielle Öffnungszeiten gab es nicht, genauso wie Halit kein offizielles Lokal betrieben oder Getränke verkauft haben will. Das versicherten er und die zwei Zeugen vor Gericht. «Jeder hat mal etwas zum Trinken mitgebracht», sagte Zeuge Cem.

Die Fragen, ob Halit ihm jemals eine Runde am Spielautomaten angeboten habe, verneinte er vehement. So auch der zweite Zeuge. Beide sagten aus, dass Halit stundenlang am Automaten gespielt habe. Weil der Beschuldigte die Schlüssel für die Glücksspielmaschinen hatte, konnte er das Geldfach öffnen und seinen Einsatz – meist 10er- oder 20er-Noten – beliebig wiederverwenden, ohne tatsächlich Geld zu verlieren. Auf Detailfragen hierzu konnten die Zeugen keine Antwort geben. Sie wollten nicht mal vom zweiten Automaten gewusst haben, der in der Küche stand.

Die ESBK hat die Automaten elektronisch ausgewertet und konnte nachweisen, dass die Geräte im Frühling 2020 für fünf bis sechs Wochen in Betrieb waren. In dieser Zeit zählten die Maschinen Gewinnsummen von insgesamt über 56’000 Franken. Doch wer daran gespielt hat, konnte man nicht nachweisen.

Verteidiger sieht Hausdurchsuchung als «fishing expedition»

Halit gab in polizeilichen Vernehmungen zu, dass er mit den Automaten etwa 60 Franken pro Woche verdient habe. Vor Gericht nahm er diese Aussagen aber zurück und bestritt, dass seine Freunde an den Glücksspielmaschinen gespielt hätten.

Halits Verteidiger wies darauf hin, dass die Polizei bei der Hausdurchsuchung hohe Geldbeträge hätte finden müssen, wenn Dritte tatsächlich diese Summen erspielt hätten. In seinem Plädoyer zweifelte er die Legitimation der Hausdurchsuchung an. Er forderte einen Freispruch für Halit, weil es sich bei der Aktion um eine «fishing expedition» der Polizei gehandelt habe und die Beweise somit Zufallsfunde seien.

Das Gericht teilte diese Sichtweise nicht, genauso wie die ESBK. Sie argumentierten, dass die Zufallsfunde verwertbar seien, weil die Hausdurchsuchung bewilligt war. Ausserdem war er geständig und hatte sogar Informationen zum Verkäufer der Glücksspielmaschinen an die Polizei weitergegeben.

Das Bezirksgericht Kulm sprach Halit demnach schuldig. Es sei glaubhaft, dass der Beschuldigte selber oft gespielt habe, gleichzeitig habe er aber illegales Glücksspiel für Dritte zugänglich gemacht. Deshalb muss Halit eine Busse von 770 Franken bezahlen, die Geldstrafe von 29 Tagessätzen à 110 Franken wird mit einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben. Und Halit hat Glück: Das Gericht reduzierte die Ersatzforderung der ESBK auf 360 Franken anstelle der beantragten über 56’000 Franken. Das wurde erklärt mit der sechswöchigen Betriebszeit und den 60 Franken pro Woche, die Halit in dieser Zeit erwirtschaftet haben soll.