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Der Aargau und seine «Polenlager» – als 300 Schweizerinnen eine verbotene Liebe fanden

Während des Zweiten Weltkriegs lebten rund 2000 polnischen Soldaten in Aargauer Internierungslagern. Die Armee versuchte Liebesbeziehungen mit Einheimischen zu verhindern – vergeblich. Dass manche Polen nach dem Krieg nicht heimkehrten, hatte aber auch andere Gründe. 

Geschichtsinteressierte wissen es: Der Zweite Weltkrieg begann Anfang September 1939 mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen. Wenige Tage später marschierte die russische Rote Armee ebenfalls in Polen ein. Das gebeutelte Land verschwand zum wiederholten Mal in seiner Geschichte von der Landkarte Europas. Der Widerstand der polnischen Armee war schwach und bald zwecklos.

Viele Militärangehörige flohen in jenen chaotischen Wochen über verschlungene Wege nach Frankreich, wo sich eine Exilarmee formierte, die an der Seite der Franzosen und Engländer für die Befreiung der Heimat zu kämpfen gedachte. Doch es kam anders. Denn nicht minder rasant überrannte die deutsche Wehrmacht im Frühjahr 1940 auch Westeuropa.

Im Juni desselben Jahres wurden im jurassischen Grenzgebiet rund 50’000 alliierte Soldaten eingekesselt. In ihrer aussichtslosen Lage überschritten sie die Schweizer Grenze im Neuenburger Jura und wurden gemäss der Haager Landkriegsordnung entwaffnet und interniert. Darunter befanden sich 12’000 Männer aus polnischen Einheiten.

Polen blieben nach Krieg jahrelang in der Schweiz

Quellen zufolge wurden die hauptsächlich französischen und polnischen Flüchtlinge mit viel Sympathie durch die Westschweizer Bevölkerung aufgenommen. Namentlich die Polen hätten sich in ihrer misslichen Lage würdevoll und stolz in Formation bewegt. Während die französischen Internierten nach kurzer Zeit in ihr okkupiertes Land zurückkehren konnten, verunmöglichten die Kriegsereignisse eine baldige Rückkehr der Polen. Wohin auch? Ihr Land existierte ja gar nicht mehr. Für sie begann eine mehrjährige Internierungszeit in der Schweiz.

Anfangs wurden die Polen konzentriert in Grosslagern untergebracht. Man nannte sie «Concentrationslager». In Büren an der Aare stand die grösste dieser Barackensiedlungen für 6000 Personen. 1941 wurde die Unterbringung dezentraler in der ganzen Schweiz geregelt. Schweizweit entstanden etwa 70 Lager. Der Aargau gehörte zum grössten von sieben Internierungsabschnitten, dessen Kommandoposten sich in Baden befand.

Strenge Deutschschweizer, nachsichtige Welsche

Etwa 2000 Polen verbrachten die Folgejahre bis Kriegsende im Aargau. Geleitet und bewacht wurden die Lager von Angehörigen der Schweizer Armee. Berichten zufolge erfüllten die helvetischen Aufseher typische Klischees, die sich in der Armee bis heute halten: So sollen die Westschweizer Wachtruppen nachsichtig und freundschaftlich gewesen sein, während die Deutschschweizer tendenziell streng bis starrsinnig waren.

In den Lagern herrschte also militärische Disziplin. Den Polen war es grundsätzlich untersagt, Kultur- oder Sportveranstaltungen zu besuchen. Auch Wirtshäuser hatten sie zu meiden, ebenso Privathäuser, nicht einmal Fahrräder durften sie benutzen. Und Kontakte mit der Bevölkerung – namentlich mit der weiblichen – waren unerwünscht.

Mit zunehmender Dauer wurde der Aufenthalt für die jungen Männer zur psychischen Belastung. Viele schwankten zwischen Erleichterung und Verzweiflung. Sie wussten sich in der Schweiz in Sicherheit und sorgten sich gleichzeitig um ihre Familien in der Heimat.

Arbeitseinsätze gegen den Lagerkoller

Aus den Arbeitslagern wurden Arbeitseinsätze in über 1200 Gemeinden in der ganzen Schweiz geleistet. Sei es beim Tiefbau oder bei Rodungs- und Meliorationsarbeiten. Insbesondere aber in der Landwirtschaft waren die jungen Polen gefragt, galt es doch, zum einen die Schweizer Männer zu ersetzen, welche im Grenzdienst waren, und zugleich die angespannte Versorgungslage der Schweiz mit Lebensmitteln zu mildern.

Nicht zuletzt waren die Internierten auch für die Armee mit Baueinsätzen beschäftigt. Für ihre Leistungen wurden sie finanziell entschädigt, wenn auch weit unter dem Lohnniveau auf dem freien Arbeitsmarkt.

Über 300 Ehen mit Schweizerinnen – trotz Verbot

«Den Internierten ist die Eingehung der Ehe nicht gestattet. Es sind daher auch alle auf eine solche hinzielenden Beziehungen mit Internierten untersagt.» So stand es unmissverständlich in einem Befehl der Armeeführung. Dem widersetzten sich nicht wenige, führen die Statistiken doch über 300 Eheschliessungen zwischen Schweizerinnen und internierten Polen bis 1945.

In den Dörfern wurden Bekanntschaften und Liebesbeziehungen mit grossem Argwohn beobachtet. Nicht selten wurden junge Frauen als «Polenflittchen» denunziert und der Generaladjutant der Armee schrieb in seinem Bericht nach Kriegsende: «Ein trübes Kapitel ist das des Verkehrs von allzu vielen Frauen und Mädchen mit den Internierten.»

Nach Kriegsende kehrten die meisten Polen in ihre Heimat zurück oder sie reisten in ein Drittland weiter, um ein neues Leben anzufangen. Jene, die blieben, erhielten aufgrund einer parlamentarischen Intervention 1950 eine Niederlassungsbewilligung und in den Folgejahren wurde vielen das Bürgerrecht erteilt.

An die Internierungen erinnern heute die vielen «Polenstrassen» sowie die ebenso zahlreichen Gedenktafeln, wie sie im Aargau etwa in Spreitenbach, Widen, Bergdietikon oder Thalheim zu finden sind. Und natürlich die Nachkommen, von denen nicht wenige sagen, sie hätten zwei Herzen in der Brust, ein schweizerisches und ein polnisches.