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Sie legten Kissen in die Einkaufswagen, damit der Protest bequemer war: Klimaaktivistinnen und -aktivisten vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen

Bei gewaltfreien Versammlungen müssen Behörden eine gewisse Toleranz walten lassen, sagt das Bundesgericht. Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten, die in Freiburg ein Einkaufszentrum verbarrikadierten, werden deshalb nicht wegen Nötigung verurteilt. 

Es ist Black Friday, 29. November 2019, 17 Uhr, Tag der Schnäppchenjäger, als etwa zehn rot verkleidete Personen auf dem Trottoir entlang der Bahnhofsstrasse in Freiburg gegen Überproduktion und Überkonsum demonstrieren. Eine zweite Gruppe versperrt gleichzeitig den Eingang zu einem Einkaufszentrum gegenüber dem Bahnhof. Sie stellen sechs Einkaufswagen quer zum Eingang, befestigen diese mit Brettern und legen Kissen in die Einkaufswagen, um einen «gewissen Komfort» zu garantieren, wie es in einem am Donnerstag publizierten Urteil des Bundesgerichts heisst. Der «gewisse Komfort» war nötig, weil drei Demonstrierende die nächsten zwei Stunden in Schlafposition in den Einkaufswagen ausharren würden.

Auf beiden Seiten der Wägeli-Blockade postieren sich etwa zehn Personen, einige ketten sich an die Einkaufswagen. Die Polizei montiert Absperrbänder, damit es nicht zur Direktkonfrontation zwischen wütenden Kundinnen und Kunden und den Protestierenden kommt. Schliesslich schneiden die Ordnungskräfte die Kettenschlösser auf und tragen gegen 19 Uhr die letzten Aktivistinnen und Aktivisten weg. Hinter der unbewilligten Demonstration, an der sich insgesamt etwa 50 Personen beteiligten, stecken die Bewegungen Klimastreik und Extinction Rebellion. Zivilen Ungehorsam betrachten sie als nötig, den Klimawandel als akute Bedrohung.

Die Freiburger Staatsanwaltschaft verhängte Bussen, etwa wegen Störung der öffentlichen Ruhe und Nichtbefolgens einer polizeilichen Anordnung. Rund 30 Personen akzeptierten das Verdikt nicht. Am 18. Juni 2021 reduzierte ein Freiburger Bezirksgericht die Bussen, hielt aber an der Verurteilung fest. Sieben Personen, die auch wegen Nötigung bestraft wurden und an vorderster Front an der Barrikade mitwirkten, gelangten an die nächste Instanz. Der Nötigung macht sich schuldig, «wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden». So steht es im Strafgesetzbuch.

Das Freiburger Kantonsgericht hiess den Rekurs der Aktivistenpersonen, von denen letztes Jahr eine beim Zivilstandsamt den Eintrag zum Geschlecht änderte, gut. Gegen dieses Urteil erhob die Freiburger Staatsanwaltschaft Beschwerde. Sie argumentierte, Angestellte des Einkaufszentrums seien wegen der Protestaktion gezwungen gewesen, länger zu arbeiten. Gemäss der Rechtsprechung sei der Tatbestand der Nötigung schon erfüllt, wenn jemand gegen seinen Willen einige Minuten festgehalten werde. Zudem sei Kunden und Kundinnen der Haupteingang versperrt gewesen. Und da sich die Demonstration nicht auf öffentlichem Grund abgespielt habe, fänden die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) keine Anwendung.

Bundesgericht lobt die friedliche Demonstration

Der EGMR hat festgehalten, dass Behörden bei nicht bewilligten, aber friedlichen Demonstrationen zugunsten der Versammlungsfreiheit eine gewisse Toleranz walten lassen müssen. Für Strassburg gelten sodann Einkaufszentren als öffentlicher Ort, weil dort viele Menschen verkehrten.

Mit Verweis auf den EGMR hat jetzt das Bundesgericht den Klimaaktivistinnen und -aktivisten recht gegeben. In dem in Dreierbesetzung gefällten Urteil (Grüne, FDP und SVP) lobte es Klimaaktivistinnen und -aktivisten für deren friedliche Demonstration. Die Richter in Lausanne taxierten die Protestaktion als nicht intensiv genug, um sie als Nötigung zu qualifizieren – den Nebeneingängen, die mit kleinem Umweg zugänglich blieben, sei dank.