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«Antwort ohne jegliches Versprechen»: Long-Covid-Organisationen kritisieren Bericht des Bundesrates

Die Gesundheitsversorgung habe rasch auf Long Covid reagiert. Das schreibt der Bundesrat. «Wir waren lange allein gelassen», sagen hingegen Betroffene und Spitäler.

Das Land befand sich mitten in der Coronapandemie, als klar wurde: Nicht nur die akute Erkrankung belastet das Gesundheitssystem enorm, auch deren Langzeitfolgen sind so häufig und hartnäckig, dass gehandelt werden muss. Das erste Postulat dazu wurde im Parlament im Januar 2021 eingereicht, eine Motion folgte im März: Die gesundheitliche Versorgung der Patienten sollte sichergestellt werden.

«Wir setzten grosse Hoffnung in die beiden Vorstösse», sagt Chantal Britt von der Betroffenen-Organisation Long Covid Schweiz, «und jetzt kommt eine Antwort ohne jegliches Versprechen». Das sei zermürbend. Während also der Bundesrat schreibt: «Die Untersuchungen zeigen, dass das Gesundheitssystem in der Schweiz rasch auf die Langzeitfolgen von Covid-19 reagiert hat und ein dichtes Netz an spezialisierten Angeboten für Betroffene besteht», sagt Britt: «Die Versorgungslage ist eine absolute Katastrophe.»

Ebenfalls habe man es verpasst, eine Long-Covid-Kohorte zusammenzustellen, wie das bei HIV geschah. Aus diesem Vorzeigeprojekt werden heut noch wichtige Daten gezogen. Die Anzahl der Long-Covid-Erkrankten hingegen wird geschätzt aufgrund des Sentinella-Meldesystems der Ärzte. Über die Betroffenen weiss man wenig.

Kaum Forschung in der Schweiz

Und so ist es auch schwierig, die Erkrankung weiter zu erforschen. Die Studien des Nationalfonds zielten fast alle auf die akute Erkrankung ab – das Geld war auch bereits verteilt, als Long Covid als grosses Problem erkannt wurde.

Auch im Bericht werden Lücken in der Versorgung eingestanden: Lange Wartezeiten, verspätetet gesamtschweizerische Empfehlungen zur Diagnose oder mangelnde Forschung zur Wirksamkeit von Therapien. Doch etwas Neues ist nicht geplant. Am ehesten noch für schwer Betroffene, für die lange Anreisen in die Therapie unmöglich sind: Da soll ab 2024 eine reduzierte Therapie möglich sein und Versicherer sollen Tarife für telemedizinische Angebote bei Long Covid vereinbaren.

Britt hätte sich mehr gewünscht. Es gehe nicht nur um die jetzigen Kranken, die nächste Pandemie folge bestimmt. «Es braucht unbedingt in der Schweiz ein Referenz-Zentrum für postinfektiöse Erkrankungen, wie das auch die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt.»

Zentrum für postinfektiöse Erkrankungen gefordert

Margaret Hund-Georgiadis Long-Covid-Spezialistin bei der Rehab Basel relativiert: «Es ist zu einfach zu sagen, die Politik hat versagt.» Es stimme zwar, dass ihre Reha-Klinik die Therapiemodule selbst habe entwickeln müssen, aber später seien von Bern her auch wichtige Impulse gekommen. «Man hat nach Kräften versucht, bei dieser neuen Krankheit die richtigen Hebel zu ziehen. Jetzt müssen wir schauen, was es weiter braucht.» Auch sie fände ein Zentrum für postinfektiöse Erkrankungen gut – «das sind schwierige Fälle, nicht erst seit der Coronapandemie», sagt die Neurologin.

Schlimmer dran als die Erwachsenen sind Kinder. «Die Long-Covid-Kinder sind massiv unterversorgt», sagt Claudia Schumm von Long Covid Kids Schweiz. Zwar können die Kinder die Diagnose beim Hausarzt oder in den Spitälern erhalten, aber danach folgt nichts mehr. Viele werden in psychiatrische Jugendkliniken eingewiesen, weil es dort Schulunterricht gibt. «Passende Kliniken gibt es nicht», sagt Schumm.

Bei den Kindern, die für eine Tagesklinik zu krank sind, kommt das Defizit der Schulbildung hinzu: Viele könnten einige Stunden Einzelunterricht besuchen, doch bis – falls überhaupt – dafür Geld gesprochen wird, verzögert sich die Schulbildung dieser Kinder stark. «Man muss sich jede Hilfe selbst zusammensuchen», sagt Schumm.

Ärzte riskieren keine Off-Label-Medikamente

Das trifft allerdings auch auf die Erwachsenen zu. Eine Betroffene sagt: «Wir Long-Covid-Betroffene werden noch viel zu oft uns selber überlassen.» Off-Label-Medikamente wie Blutverdünner oder antivirale Medikamente werden an den offiziellen Long-Covid-Sprechstunden der Spitäler nicht verschrieben. Nur wenige Ärzte riskieren das, sagt Chantal Britt. Eine aufgegleiste Studie um Milo Puhan von der Uni Zürich, in der die Wirksamkeit von Blutwäsche, der Apharese, untersucht werden sollte, scheiterte kürzlich an der Finanzierung.

Und noch immer gebt es Ärzte, die Long Covid nicht ernst nähmen, sagen Betroffene. «Die Belastungsintoleranz, unter der viele Long-Covid-Patientinnen und Patienten leiden, ist oft kein Thema beziehungsweise wird ignoriert.» Es gibt in der Deutschschweiz nur wenige Reha-Kliniken mit angepasstem Programm wie die Rehab Basel oder die Fatigue-Sprechstunde am Unispital Zürich. Andernorts versuchen manche Ärztinnen Patienten immer noch mit aufbauender Physiotherapie statt Energie-Einteilung (Pacing) auf die Beine zu bringen und erzielen damit oft eine Verschlimmerung der Krankheit.

Chantal Britt selbst ist seit einem Jahr «austherapiert», wie sie sagt. Sie wüsste nicht, wer ihr noch helfen könnte. Ihre Stelle hat sie verloren und arbeitet nun in einem reduzierten Pensum.