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Corona-Fallzahlen: Einst Wettobjekt, dann Halt im Corona-Wahn – und nun egal

Zwei Jahre lang begleiteten uns die Corona-Fallzahlen tagtäglich. Nun vermeldet sie das BAG nur noch wöchentlich. Egal, uns interessiert jetzt eine andere Zahl.

Walter Faber, Held aus Max Frischs weltberühmten Roman «Homo Faber», hätte die Corona-Fallzahlen nicht nur ein Mal, sondern drei Mal pro Tag studiert, wäre fasziniert gewesen vom Auf und Ab: von den Ansteckungen, den Hospitalisationen und den Toten. Nicht wenige Menschen aber liessen sich davon verrückt machen – sowohl die Rationalisten, die unsere Welt scheinbar im Griff haben, als auch die Handgelenk-Mal-Pi-Menschen, die träumend durch die Welt wandeln.

Uns alle fesselten diese Zahlen jedenfalls fast zwei Jahre lang. Das war kein Wissenschaftschinesisch, sondern nackte Klarheit im Unwissen. Die Infektionszahl wurde unser tägliches Brot – und nur News-Abstinente wie der Denker Rolf Dobelli hörten davon nichts, blieben gelassen auf Wolke Sieben. Für uns Erdenbürger aber, die Halt und Wissen suchten, waren die Zahlen der Richtwert – und bald der Beginn eines jeden Gesprächs. Hier gab es eine Art Konsens, wo doch beim Thema Masken oder Impfung sofort Unstimmigkeiten aufkamen. Nach der Zahl der Neuansteckungen konnte sich jeder richten: Sie entschied über Homeoffice, ja gar über unsere Vergnügungen – unsere Ferien. Je nach Höhe der Zahl war klar, ob man nach Portugal oder Estland reisen durfte.

Die Masken fallen – und hoffentlich auch die Fallzahlen.

In unserer Ohnmacht gegenüber dieser Zahlenkraft machte sich Sarkasmus breit, man wettete eine Flasche Bordeaux, dass bald die 10000-er-Grenze geschafft sein würde. Täglich wartete unsereins fiebrig darauf, als sei man ein Börsen-Makler und müsste die 10000-Punkte des SMI durchbrechen. Und genauso einfach wie dieses Kunststück am 18. Juni 2019 erstmals gelang, schafften wir die 10000 Neuinfektionen.

Aber wehe, das BAG hatte die Zahlen nicht pünktlich parat! Lieber verzichtete man auf den Espresso nach dem Mittagessen als auf die Ansteckungszahl. Klar war damit nichts, das sehen wir jetzt, wo wir auf einem Siebentage-Wert von 21000 Neuinfektionen sind. Einst wären wir damit durchgedreht. Jetzt hingegen heben wir kopfnickend alle Massnahmen auf.

Wars das?

Die Infektionszahl war selber in der Primarschule wichtiger als das Einmaleins. Jedenfalls bis Anfang dieses Jahres. Dann mit dem Silvesterfeuerwerk wurden sie durchlöchert und un-wertig. Sie wurden uns egal. 10000? 40000? Schaffen wir 100000 pro Tag? Und wie viel Tote waren es nun eigentlich? Wie viele Hospitalisationen? Niemand hatte mehr eine Ahnung. Dreimillionenvierhundertdreiundfünfzigtausend haben bis heute Corona gehabt. Wenn man das im März 2020 gesagt hätte, wäre die Börse unter 5000 Punkte gefallen. Heute verursacht der Wert ein Schulterzucken. «Nur 3453000?».

Mittlerweile interessiert uns nicht mehr die Höhe der Coronatoten, sondern die Anzahl der Toten im Ukraine-Krieg. Wie viele Tote Russen? Wie viele tote Ukrainer? Zahlen sagen mehr als Bilder, das weiss auch unser Romanheld Walter Faber. Dumm nur, gesteht er sich am Schluss beim Studium seiner Aufzeichnungen ein: «Es stimmt nichts.»