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Der Absturz des «Pyjama-Deals»: Wie die Genehmigung der Notkredite scheiterte 

Das Parlament traf für zwei Tage zusammen – und entschied nichts Substanzielles. Für die einen ist es ein einziges «verantwortungsloses politisches Theater», für die anderen ein wichtiges Zeichen, dass ein «weiter wie bisher» nicht mehr geht.

Die ganze Wut, der ganze Frust gipfelt in einem kurzen Wortduell. FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann spricht von einer «Schande für die Schweiz» und wirft SP-Co-Präsident Cédric Wermuth sichtlich enerviert vor: «Diesen Reputationsschaden müssen Sie auf sich nehmen.» Worauf Wermuth kontert: «Das waren Ihre Freunde in den Manager-Etagen der Credit Suisse, die diese Schande über dieses Land gebracht haben.»

Das verbale Gefecht findet kurz vor der entscheidenden Abstimmung in der ausserordentlichen Session statt. Parteichef Wermuth hat soeben vor dem Plenum erklärt, dass die SP der Genehmigung der 109 Milliarden Franken, die der Bund als Garantien zur Bankenrettung versprochen hat, definitiv nicht zustimmen werde. Mit 72 zu 98 Stimmen bei 12 Enthaltungen lehnt der Nationalrat die Notfallkredite ab. Das Geschäft ist damit erledigt.

Der «Pyjama-Deal»: Feilschen am frühen Morgen

Und die Konsternation ist gross. Seit den frühen Morgenstunden waren Politiker bemüht, noch eine Lösung hinzukriegen. Die beiden Räte waren sich nicht einig: Am Dienstag stimmte der Ständerat den Krediten zu. Im Nationalrat fielen diese gegen Mitternacht aber durch, weil SP, Grüne und SVP befanden: Die jeweiligen parteipolitischen Forderungen seien nicht erfüllt.

Materiell hat die Ablehnung keine Konsequenzen, die Kredite gegenüber der UBS sind verpflichtend. Doch die SP-Spitze hat selbst gemerkt, dass sie eine Chance hat, konkrete Forderungen an die Genehmigung zu knüpfen. Um 1.30 Uhr nachts, nach dem Ende des ersten Sessionstags, treffen sich SP-Nationalräte, um die Forderungen für einen möglichen Kompromiss aufzustellen.

Per Mail informieren sie die schlafenden SP-Ständeräte der Finanzkommission mit dem Auftrag, Verbündete zu suchen. «Die Drähte liefen am Morgen heiss», sagt ein Kommissionsmitglied einer anderen Partei. Der Aufwand der SP-Ständeräte zahlt sich vorerst aus, eine Mehrheit der Kommission lässt sich von der Lösung überzeugen. Es entsteht, was die grüne Nationalrätin Franziska Ryser angesichts der Uhrzeit «Pyjama-Deal» nennt.

Bevor die Ständeratsdebatte beginnt, diskutieren Finanzministerin Karin Keller-Sutter und Findel-Mitglied Eva Herzog (SP) mit Ständeräten.
Bild: Alessandro Della Valle/Keystone

Hoffnung keimt auf

Der «Deal» funktioniert so: Als Bedingung für die Genehmigung der Kredite wird der Bundesrat verpflichtet, neue Bankenregulierungen anzugehen, um die Risiken zu reduzieren. Um die SP mit ins Boot der Befürworter zu holen, wird der Antrag von Barbara Gysi (SP/SG) wortwörtlich in die Vorlage aufgenommen. Explizit steht nun, der Bundesrat soll unter anderem eine Erhöhung der Eigenkapitalquote und eine gesetzliche Beschränkung der Boni prüfen.

Kurz nach 8 Uhr trifft sich der Ständerat. Knapp zwei Stunden ringt er um die neue Bestimmung – und stimmt ihr zu. Die bürgerlichen Parteien gehen damit einen Schritt auf die SP zu, um eine Nicht-Genehmigung der Notkredite zu verhindern. Denn das «wäre ein schlechtes Signal», sagt Mitte-Ständerat Erich Ettlin, «ich würde mich ein bisschen schämen für das Parlament».

Die Zeichen zur Mittagszeit sind klar: Die SP schwenkt um. So zumindest hoffen es Mitte und FDP, aber auch die SP-Ständeräte sind optimistisch, die Bedingungen der Partei seien nun erfüllt. «Eine Ablehnung wäre ein Wortbruch», sagt SP-Ständerätin Eva Herzog (BS).

Harte Linie der Polparteien

SVP und Grüne haben bereits klargemacht, dass sie am Nein festhalten wollen. Die Grünen wünschen sich eine Bank, die in eine nachhaltige Infrastruktur der Zukunft investiert, wie damals Alfred Escher. Die SVP forderte, es dürfe keine Unternehmen mehr geben, die zu gross oder zu wichtig sind zum Scheitern. Alle Forderungen seien nicht erfüllt.

Die Augen sind daher auf SP-Fraktionschef Roger Nordmann gerichtet, als er während der Debatte im Nationalrat verkündet: Eine Mehrheit der SP werde zustimmen, falls der Bundesrat ankündige, eine schrittweise Stärkung des Eigenkapitals und starke Einschränkungen der Boni für systemrelevante Banken gesetzlich zu verankern.

Zwar steht genau dies im Auftrag an den Bundesrat. Die SP macht ihre Zustimmung aber plötzlich abhängig von einem Zugeständnis von Finanzministerin Karin Keller-Sutter. Diese erklärt, der Bundesrat sei bereit, eine Vorlage zur Einschränkung der variablen Vergütung zu unterbreiten. Und sie verweist darauf, dass im Zuge der Umsetzung des internationalen Regulierungsrahmens «Basel III» eine Erhöhung der Eigenmittelanforderungen geplant sei. Wie hoch die Eigenkapitalquote sei, welche sie dabei anstrebe, könne sie noch nicht sagen. Dafür sagt sie: «Was substanziell ist, hängt immer von der Optik des Betrachters ab.»

Der Absturz

In der SP hört man zu und findet: Das genügt nicht. SP-Co-Präsident Wermuth schreitet ans Rednerpult und sagt: «Wir sehen uns nicht in der Lage, diesem Kredit heute zuzustimmen.»

Eine Bombe. Die Finanzministerin verliert den Faden, wirkt plötzlich fahrig. Sie weiss, sie wird verlieren. Kurz nach 14 Uhr schickt der Nationalrat die Vorlage ein zweites Mal bachab – unterstützt von den Grünen, der SVP und der SP. Einzig Ursula Schneider Schüttel (SP/FR), Präsidentin der Finanzdelegation, sagt Ja. Fünf SP-Nationalrätinnen enthalten sich.

Die SP-Co-Präsidenten Mattea Meyer (links) und Cédric Wermuth beraten sich mit SP-Nationalrätin Samira Marti.
Bild: Alessandro Della Valle/Keystone

Die Mehrheit des Nationalrats lässt Bundesrat, Finanzdelegation und Ständerat im Regen stehen. Zurück bleiben abermals Wut, Frust und Enttäuschung. Und kein einziger griffiger Regulierungsauftrag.

Gegenseitige Vorwürfe und ein Wortbruch

Das Unverständnis ist bei jenen Parteien gross, die sich für eine Lösung eingesetzt hatten. Die Mitte kritisiert, SP und SVP übten sich in «kollektiver Verantwortungslosigkeit und machen lieber Wahlkampf, statt Verantwortung für die Stabilität unserer Volkswirtschaft zu übernehmen».

Die Ablehnung sei «sehr bedenklich», sagt auch GLP-Nationalrat Roland Fischer, der die nationalrätliche Finanzkommission präsidiert. «Obwohl SP und SVP mit vier Sitzen die Mehrheit im Bundesrat stellen, waren sie nicht bereit, in einer Krisensituation hinter der Regierung zu stehen.» Sie müssten sich deshalb fragen, welche Rolle sie einnehmen: «Wollen sie staatstragende Regierungsparteien sein oder Oppositionsparteien?»

Scharfe Worte auch von FDP-Präsident Thierry Burkart: «Die SP hat nicht Wort gehalten», sagt er. Auch er findet es bizarr, dass mit der SP und der SVP zwei Parteien die Notkredite ablehnten, die zusammen die Mehrheit in Bundesrat halten. «Diese Parteien sind offensichtlich nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. So gewinnt man vielleicht Wahlen, aber man schadet dem Land.»

Was am Ende übrig bleibt

Die SP wiederum sieht die Schuld bei den Bürgerlichen. Von einem Wortbruch will SP-Co-Präsident Cédric Wermuth nichts wissen. «Wir haben bis am Schluss Hand geboten für eine verbindliche Lösung. Aber die Mehrheit wollte keine konkreten Schritte.» Was die bürgerlichen Parteien betrieben, sei «Schaumschlägerei», sagt er: «Zuerst grossspurige Ankündigungen, dann aber nichts umsetzen wollen.»

Und die SP? Die habe ein «Minimum an Verbindlichkeit» gefordert: Das Versprechen, dass der Bundesrat die Bankenregulierung ernsthaft anpackt, sei Keller-Sutter schuldig geblieben.

Just darüber scheiden sich die Geister: Die exakte Forderung der SP steht schwarz auf weiss im Gesetzesauftrag. FDP, GLP und Mitte waren bereit, neuen Regulierungen zuzustimmen. Der SP reichten die Zugeständnisse nicht. Und so endet die ausserordentliche Session nach viel Drama mit einem Knall – und wenig Zählbarem.