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Der Tipp an Tante Didi: «Du musst unterwegs alle überholen»

Ditaji Kambundji, die Weltmeisterin im Hürdensprint, tankt viel Energie und Vertrauen aus der innigen Beziehung mit ihren drei ältern Schwestern.

Ditaji Kambundji hat Fähigkeiten, für die sie viele beneiden. Der spielerische Tanz zwischen totalem Fokus und natürlicher Unbeschwertheit. Das grenzenlose Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ohne jeden Anflug von Überheblichkeit. Der stilsichere Auftritt als sportliches Erfolgsmodell vor Kameras und die gleichzeitige Bodenständigkeit eines Kumpels von nebenan.

Die neue Weltmeisterin im Hürdensprint sagte nach dem Rennen über ihr Erfolgsrezept, sie habe von den Vorbildern in der Familie profitiert. Zwei Tage später präzisiert sie: «Meine Position in der Familie, dass ich schon immer zu meinen älteren Schwestern hochgeschaut habe, hat mich enorm geprägt. Nicht nur in der Leichtathletik. Ich hatte in allen Bereichen drei Vorbilder.»

Die Vorreiterrolle von Mujinga Kambundji im Sport ist hinlängst bekannt. Aber wer sind die beiden anderen Schwestern und Vorbilder, die weniger im Rampenlicht stehen? Wie ist ihr Blick auf die jüngste Schwester und wo sehen sie die positive Wirkung ihrer engen Beziehung?

Trainieren fast täglich zusammen: Ditaji (rechts) und ihre zehn Jahre ältere Schwester Mujinga Kambundji.
Bild: Anthony Anex/Keystone

Der Videochat der Schwestern kann Stunden dauern

Kaluanda Kambundji ist die älteste der vier Kambundji-Schwestern, elfeinhalb Jahre beträgt der Altersunterschied zu Ditaji. Die 34-jährige ist zweifache Mutter und unterrichtet mit einem 60-Prozent-Pensum Französisch und Sport an der Kantonsschule Olten.

Sie sagt auf die Frage, wie es vier Mädchen geschafft haben, ohne Eifersucht untereinander aufzuwachsen: «Unsere Eltern haben uns immer gleichbehandelt. Es spielte nie eine Rolle, wer gerade was erreicht hat. Wir mussten als Kinder alles teilen, wir haben das gar nie anders erlebt.»

Entstanden ist eine innige und vertrauensvolle Bindung unter den Schwestern. In ihrem gemeinsamen Videochat auf Facetime ist fast immer etwas los. Manchmal laufe er stundenlang, sagt Kaluanda Kambundji. Zuerst sei man zu zweit am Chatten, dann auf einmal zu viert und später wieder zu dritt. «Manchmal reden wir viel, manchmal schauen wir uns auch einfach zu, wie wir Dinge erledigen.» Aber ein Punkt bleibt dabei zentral: «Wir freuen uns immer sehr füreinander oder leiden miteinander mit – selbst bei ganz banalen Dingen. Wir diskutieren auch Entscheidungen sehr oft untereinander.» Sie würden alle sehr ähnlich ticken und überlegen. «Wir machen auch die gleiche Art von Witzen.»

Der Stolz der strengen Schwester

Ihre eigene Rolle war gegeben: Waren die Eltern nicht da, übernahm Kaluanda die Verantwortung für Nesthäkchen Ditaji: «Ich war dabei fast strenger mit ihr als unsere Eltern.» Sie hätten die Nachzüglerin auch früh überall mitgenommen, sei es zum Sport, zu Konzerten oder auf Reisen. Die zweifache Mutter sagt, sie habe ihre Rolle, die Verantwortung zu übernehmen, bis heute behalten. So organisiert sie gemeinsame Geburtstagsgeschenke für die Eltern – zuletzt ein Cross-Fit-Jahresabo für Vater Safuka. «Ich glaube, ich werde sie auch nie ablegen. Aber das ist in Ordnung so. Genauso wie Didi immer das Baby in der Familie bleiben wird.»

Doch Kaluandas Blick auf die Schwester ist heute ein anderer: «Ich bin unglaublich stolz, zu was für einer tollen jungen Frau sie herangewachsen ist», sagt sie. Um Erfolg zu haben, müsse Ditaji auch klare Prioritäten setzen und dabei auf viele Dinge verzichten. Für die Familie jedoch finde die jüngste Schwester stets Zeit. Regelmässig holt sie Kaluandas Kinder in der Kita ab. Die Kinder revanchieren sich mit Glückwunsch-Videos vor den Rennen. Auch nach Tokio schickten der vierjährige Sohn und die zweijährige Tochter ein solches Video: «Du musst unterwegs alle überholen», lautete der Tipp an Tante Didi.

Überhaupt sei die Verlässlichkeit unter den vier Schwestern Schlüssel für vieles. «Ich weiss, ich kann jederzeit auf meine Schwestern zählen. Egal, was ist, sie sind für mich da. Das gibt unglaublich viel Kraft, wenn es hart auf hart kommt.» Mittwochs hüten normalerweise die Eltern Kaluandas Nachwuchs. Weil diese in Tokio weilen, war gestern Mujinga im Einsatz. «Auch das ist selbstverständlich. Sie hat ja auch keine andere Wahl», sagt die älteste Kambundji-Schwester lachend.

Ditaji stand einfach spontan vor Muswamas Tür

Muswama Kambundji hat den geringsten Altersunterschied zu Ditaji, ist sechs Jahre älter. Sie lebt seit 2019 in London, arbeitete dort lange in der Finanzbranche und setzt nun im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele voll auf den Bobsport.

Sie beginnt ihren Blick auf Ditaji mit einer Anekdote: «Im letzten Jahr stand Didi eines Tages ohne Voranmeldung vor meiner Haustüre in London. Sie wollte mich mit einem spontanen Besuch überraschen.» An ihrer jüngeren Schwester fasziniert Muswama, dass sie mental derart stark sei. «Sie kann ihre Leistung unter jeder Bedingung abrufen. Es ist vor allem verblüffend, dass sie diese Fähigkeit schon mit 23 Jahren derart ausgeprägt hat. Sie ist sehr diszipliniert und gleichzeitig kann sie nach dem Wettkampf wieder sich selbst sein, sehr locker, sehr unterhaltsam, nicht alles so ernst nehmen.»

Auch Muswama betont die Art und Weise, wie man zuhause miteinander umging. Man habe keinen Druck aufgebaut. «Niemand hat einen anderen Stellenwert innerhalb der Familie, nur weil er eine Sekunde schneller war oder eine Goldmedaille gewonnen hat. Aber wir feiern und teilen unsere Erfolge.»

Ditaji ist sicher, dass sie sich selbst treu bleibt

Auch Ditaji macht dieses Miteinander in der Familie als Schlüssel für die persönliche Entwicklung aus: «Es geht bei der Frage, wie gerne sie mich haben, nicht darum, wie schnell ich renne. Ich bin unglaublich dankbar für diesen Zusammenhalt.»

Diese Prägung ist für sie auch Grund, wieso sie nicht befürchtet, dass er zusätzliche Druck als Weltmeisterin negative Folgen hat: «Ich werde wohl etwas eine andere Rolle haben. Die Leute erwarten vielleicht auch ein wenig mehr von mir. Ich mache mir aber weder grosse Gedanken noch Sorgen, dass ich meine Unbeschwertheit verlieren werde. Ich freue mich auf das, was kommen wird und habe das Gefühl, dass ich es weiterhin geniessen kann.» Dafür sorgen wird auch die Familie.