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Die Botschaft der Versöhnung in die Welt tragen

Gedanken zum Karfreitag von Árpád Ferencz, reformierter Pfarrer in Zofingen.

Unzählige Künstler haben das Bild für alle Zeiten verewigt: Jesus wird gekreuzigt. Der Menschensohn, der keine Schuld hat, wird verurteilt und stirbt eines qualvollen Todes. Eigentlich ist das eine ungeheure Geschichte. Zugleich aber ist sie bis heute faszinierend. Wenn wir allerdings bei den Äusserlichkeiten des Karfreitags stehen bleiben, so kommen unsere menschliche Logik und unser Verstand an ihre Grenzen. Denn logisch kann man die Bedeutung des Karfreitags gar nicht erfassen. Die menschliche Logik denkt in Kategorien, die uns bekannt und vertraut sind. Solche Kategorien sind zum Beispiel Schuld und Unschuld, Sühne und Strafe, Recht und Gerechtigkeit. Was allerdings am Karfreitag geschieht, ist alles andere als logisch. Es kann in keinen menschlichen Kategorien erfasst werden: Der Unschuldige wird verurteilt und der Schuldige kommt frei. Verkehrte Verhältnisse, würden wir meinen. Betrachten wir aber die Geschichte des Karfreitags aus einem anderen Blickwinkel, so gewinnt diese Geschichte eine einzigartige Tiefe für uns. Karfreitag kann nur zusammen mit Ostern richtig gedeutet werden. Das letzte Wort in der Passionsgeschichte ist nicht das verzweifelte Schreien Jesu am Kreuz, sondern die Botschaft vom Ostermorgen, das helle Osterlachen, welches allen Widrigkeiten zum Trotz Licht ins Leben dieser Welt bringen möchte. Gottes Handeln an Karfreitag und Ostern ist definitiv nicht logisch, aber gerade darum grossartig.

«Wann/wenn nicht/um die neunte Stunde/als er schrie/sind wir ihm/wie aus dem Gesicht geschnitten/Nur seinen Schrei/nehmen wir ihm noch ab/und verstärken ihn/in aller Munde.» – schreibt Eva Zeller in ihrem Gedicht. Golgatha.

Ja, das nehmen wir Jesus ab, seine letzte Stunde, die völlige Einsamkeit, das, was man sich gar nicht vorstellen kann. An diesem Karfreitag klingen aber diese Worte nochmals verschärft in unseren Ohren. Man redet heutzutage sehr oft über die Einsamkeit, welche sich in unserer Gesellschaft breit macht und ein immer grösseres Problem darstellt. Ja, es ist die Einsamkeit, die man auszuhalten hat, jetzt in unserem Alltag und dann unweigerlich in der letzten Stunde des Lebens. Aber ist es wirklich so? Bedeutet der Kreuzestod Jesu wirklich, dass man den letzten Schritt des Lebens immer allein gehen muss?

Gott nimmt den Menschen so ernst, dass er in der allertiefs­ten Tiefe des menschlichen Leides und sogar in den Tod hinabsteigt, um deutlich zu machen, er lässt seine Menschen nicht im Stich. Eindrücklich dargestellt ist dieses Handeln Gottes auf dem mittleren Fenster unserer Stadtkirche. Dort ist die Szene der Kreuzigung dargestellt. Darunter ist auch derjenige Sünder, der sich im Moment des Todes zu Jesus bekennt. Die Künstler, die das Fenster der Stadtkirche konzipiert haben, haben die Szene so dargestellt, dass auf der Schulter des jetzt gekreuzigten Sünders eine kleine Gestalt dargestellt wird, die symbolisch die Seele des Sünders in Empfang nimmt. Die Gestalt ist so dargestellt, wie man damals im Mittelalter die Engel dargestellt hat. Gottes Engel kommt den Menschen nahe, um Gottes Menschenfreundlichkeit gerade in jenem dunkeln Moment zu verdeutlichen. Auch und gerade angesichts der Dunkelheit des Todes leuchtet Gottes Menschenfreundlichkeit. Es ist allerdings so, dass man genau hinsehen muss, um diese Gestalt im Fenster zu entdecken. Möglicherweise ist dies ein Hinweis darauf, dass man die Nähe Gottes nur dann wirklich erleben kann, wenn man bewusst lebt und bewusst danach sucht.

Der Sohn Gottes, der gekreuzigt wird, der Menschensohn, der eines qualvollen Todes stirbt, hat eine deutliche Botschaft. In der Dunkelheit der Welt leuchtet der Bund Gottes mit uns. Inmitten mancher dunklen und schweren Situationen im Leben leuchtet Gottes Güte und Menschenfreundlichkeit. Darum geht es am Karfreitag. Jesus macht uns am Kreuz klar, wie ernst Gott die Versöhnung nimmt. Das sollten wir sicherlich mitnehmen. Und genau das sollten wir verstärkt in die Welt hinaustragen. Versöhnung heisst, dass die Beziehungen sich wieder normalisieren.

Wir feiern auch dieses Jahr Karfreitag. Möglicherweise ist dies eine Chance, über die Qualität unserer Beziehungen nachzudenken. Was heisst das ganz konkret? Erlebte Versöhnung macht es möglich, dass der Mensch sich öffnen kann für Gott und für die Mitmenschen. Der am Kreuz leidende Jesus macht sich zutiefst verletzbar, verletzbarer geht nicht. Damit will er uns deutlich zeigen, dass die Versöhnung real ist. Es gibt in der Seelsorge den Grundsatz, dass zu einem gelingenden Leben drei Sachen nötig sind: Man muss die Beziehung mit Gott, mit sich selber und mit dem Mitmenschen ins Reine bringen. Karfreitag redet davon, dass Gott den ersten Schritt für uns bereits getan hat. Er hat die Versöhnung gestiftet. Versöhnung bedeutet, dass meine Gottesbeziehung in Ordnung gebracht worden ist. Ich muss sie nur annehmen.

Ja, Eva Zeller hat recht: diesen Schrei nehmen wir Jesus ab und verstärken ihn. Bleiben wir aber dabei stehen, so sind wir auf dem falschen Weg. Der Schrei am Kreuz weicht dem hellen Osterlachen. Der scheinbare Sieg des Todes weicht der Auferstehung. Einsamkeit und Verlassenheit weichen der Gemeinschaft. Wir müssen allerdings aufpassen: dies geht ganz sicher nicht vorschnell, sondern braucht Zeit.

Karfreitag – einzeln betrachtet ist es ein dunkles Fest. Betrachten wir ihn aber von Ostern her, so wird deutlich: Gott handelt auch dort für uns. In dieser heutigen Zeit ändert sich so vieles im Leben. Krisen erschüttern unsere gewohnten Ordnungen. Vielleicht ist diese Zeit auch dafür gut, dass wir in Bezug auf Gott auch anders handeln. Vielleicht ist diese Zeit dafür gut, dass wir Gott mehr Platz in unserem Leben einräumen.

Die Reformatoren waren sehr pragmatisch und haben immer die Frage gestellt: Wenn dies so ist, was nützt es mir?

Ja, was nützt es uns heute und hier, dass es die Versöhnung gibt? In einer Welt, in der nichts mehr in der alten Ordnung zu bleiben scheint, schenkt uns Gott eine wunderbare Möglichkeit: Er hat sich mit uns versöhnt. Unsere Gottesbeziehung ist von ihm her gesehen in Ordnung – wir müssen dies nur akzeptieren.

Eva Zeller schreibt: «Nur seinen Schrei/nehmen wir ihm noch ab/und verstärken ihn/in aller Munde.» Wir sollten wenigstens so ehrlich sein, auch die Konsequenzen dieses Schreis, die Botschaft der Versöhnung mit in die Welt zu tragen.