
Die Jahreszeit der falschen Kleiderwahl
Meine Damen und Herren, herzlich willkommen zur Übergangssaison! Der Zeit im Jahr, in der wir morgens frierend auf dem Velo sitzen und mittags das Gefühl haben, direkt in die Sahara geradelt zu sein. Zwischen Wolljacke und T-Shirt scheint kein vernünftiger Mittelweg zu existieren. Der Herbst ist da, diese meteorologische Wundertüte, die uns täglich vor die Kleidungsfrage aller Kleidungsfragen stellt: Wie zieht man sich an, wenn man morgens erfriert und nachmittags verdampft?
Die Antwort liegt nicht im Kleiderschrank, sondern in der Physik. Der Herbst ist ein Stimmungsschwankungswunder zwischen Sonne, Erde und Atmosphäre. Während die Tage noch an den Sommer denken, flüstern die Nächte schon Geschichten vom Winter. Wo der Sommer langsam abtritt, gerät das Gleichgewicht zwischen Tag und Nacht durcheinander. Und mit ihm unsere Garderobe.
Im Sommer steht die Sonne hoch am Himmel, ihre Strahlen treffen in einem steilen Winkel auf die Erde und alles wird schnell warm. Im Herbst dagegen hängt die Sonne tiefer, ihre Energie verteilt sich grosszügiger und die Tage sind viel kürzer. Zwar schafft es die Herbstsonne noch, das Thermometer auf milde 18 oder gar 20 Grad zu bringen, aber der Weg dorthin ist lang. Und für Frühaufsteher ziemlich frostig.
Denn die Nächte sind nicht nur länger, sondern auch kälter. Nach Sonnenuntergang gibt der Boden seine Wärme als Infrarotstrahlung ab. Und in einer langen Nacht geht da schon einiges an Wärme verloren. Meteorologinnen und Meteorologen nennen das Ausstrahlungskälte, wir nennen es: Warum sind meine Hände am Lenker festgefroren? Wenn dann noch der Himmel klar ist, zieht die Kälte richtig durch.
Mit dem ersten Sonnenstrahl startet jeden Morgen ein kleines Wettrennen. Der Boden wärmt sich auf, die Luft steigt, und die Temperaturen klettern gemächlich nach oben. Nur leider hat man zu diesem Zeitpunkt längst entschieden, heute lieber auf Nummer sicher zu gehen. Bedeutet: Faserpelz und Daunenjacke. Drei Stunden später steht man dann in der Sonne und wähnt sich in einer finnischen Sauna.
Diese grossen Unterschiede zwischen Tag- und Nachttemperaturen nennt man die tägliche Amplitude. Klingt wissenschaftlich, fühlt sich aber ganz profan nach Schweiss und Schlottern im Wechsel an.
Der Herbst ist im meteorologischen Sinn der König des Kompromisses. Er verabschiedet die Wärme nicht abrupt, sondern in Wellen. Und während wir an der Bushaltestelle bibbern und am Nachmittag das Jäckchen wie eine Trophäe über dem Arm tragen, führt uns die Natur vor, wie gnadenlos ehrlich Physik sein kann.