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Topjurist will Bundesrichter werden, doch er wird nicht einmal angehört – sein Problem: Er ist parteilos

Es heisst, auch unabhängige Juristinnen könnten für das Bundesgericht kandidieren. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.

Warum müssen Richterinnen und Richter ein Parteibuch haben?

Karin Keller-Sutter: Das ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, es ist eine gewachsene Tradition. Sie rührt daher, dass man möglichst alle Werthaltungen, Weltanschauungen und politischen Strömungen, die es in der Bevölkerung gibt, an den Gerichten abbilden wollte. Aber auch Parteilose können für das Bundesgericht kandidieren.

So begann das CH Media-Interview mit der Justizministerin zur Justizinitiative. Wenn «kandidieren» als Synonym für «bewerben» verstanden wird, ist die Aussage richtig. Jede kann sich schliesslich auch als Bundesrätin oder Astronautin bewerben. Wenn «kandidieren» aber bedeutet, dass Bewerber von der Gerichtskommission angehört und danach als Kandidaten nominiert werden, dann stimmt die Aussage nicht.

Das Wort «kandidieren» ist von der lateinischen Bezeichnung «toga candida» abgeleitet. Das war ein weisses Gewand, das Anwärter auf ein Amt im alten Rom trugen. Auch der römische Adel, der sonst purpurne Kleider trug, musste während des Wahlkampfs in Weiss auftreten, um Chancengleichheit herzustellen. Ein Kandidat war also jemand, der sich im Wahlkampf vorstellen durfte.

Die Geschichte des unerwünschten Kandidaten

So ein Kandidat für das Bundesgericht wollte Hugo Casanova werden. Er ist ehemaliger Kantonsrichter von Freiburg und Titularprofessor für Steuerrecht. Er hat die Rechtsprechung des höchsten Gerichts in seinem Fachgebiet mitverfolgt und sie mit Kommentaren geprägt.

Der unerwünschte Kandidat: Hugo Casanova.
Keystone (30.5.2018)

Eigentlich wollte er schon lange Bundesrichter werden. Doch normalerweise werden diese Stellen nicht für ein Fachgebiet ausgeschrieben. Gesucht wird meistens ein Bundesrichter, der nach der Wahl flexibel sein muss, vielleicht landet er in der strafrechtlichen, vielleicht in der öffentlich-rechtlichen Abteilung. Das behagte Casanova nicht. Er wollte nur mit der Materie arbeiten, die er kennt, dem Steuerrecht.

Dann kam das Stelleninserat, auf das er gewartet hat. Die parlamentarische Gerichtskommission schrieb eine Stelle als nebenamtliche/r Bundesrichter/in für Steuerrecht aus. Er reichte sein Dossier ein. Es kam postwendend zurück mit einer Standardabsage. Er wurde nicht einmal angehört. Das war 2009.

2012 wurde dieselbe Stelle wieder ausgeschrieben. Casanova überarbeitete sein Dossier. Gesucht war ein Steuerrecht-Richter für deutsche oder französische Sprache. Um zu zeigen, dass er als Freiburger beide beherrschte, schickte er seine Unterlagen zweisprachig ein. Sein Lebenslauf umfasste sechs Seiten, weil er schon so viele Erfahrungen und Publikationen im Steuerrecht aufwies. Es war explizit jemand gesucht mit wissenschaftlicher Erfahrung.

Erteilte die Absage: Luc Recordon.
Patrick Lüthy (10.12.2007)

Diesmal erhielt er eine Mitteilung mit einem Datum, das er sich für die Anhörung der Gerichtskommission provisorisch reservieren solle. Als er kurz vorher immer noch keine Einladung erhielt, meldete er sich beim Kommissionssekretariat. Der damalige Präsident der zuständigen Subkommission, der grüne Ständerat Luc Recordon, rief ihn zurück und bedankte sich für das ausgezeichnete Dossier. Er sagte ihm aber, er werde ihn nicht anhören, da er nicht wisse, was für Positionen Casanova vertrete.

Casanova war parteilos und wollte es bleiben, um als Richter unabhängig zu sein. Der Kanton Freiburg ist einer der wenigen Kantone, in dem das üblich ist, weil die Kandidaten von einem Justizrat und nicht von den Parteien nominiert werden.

Casanova sagte zu Recordon am Telefon, er könne zur Anhörung Urteile mitbringen, die er geschrieben habe und die seine Positionen als Steuerrichter zum Ausdruck bringen liessen. Doch Recordon sagte ihm ab. Die Reise nach Bern könne er sich sparen. Gesucht waren Mitglieder von Parteien, die am Bundesgericht gerade untervertreten waren. Ein Parteiloser kam als Kandidat nicht in Frage.

Sie wechseln die Parteifarbe wie Chamäleons

Im Streit mit der Partei: Bundesrichter Yves Donzallaz.
Keystone (22.2.2015)

Viele Richter treten kurz vor der Wahl einer Partei bei. Während des Aufstiegs der SVP hatte diese am meisten Ämter zu verteilen. Deshalb wechselte zum Beispiel der Walliser Yves Donzallaz einst von der CVP zur SVP, um Bundesrichter werden zu können. Die Beziehung zu seiner Partei verliefbekanntlichnicht glücklich.

Jüngste Bundesrichterin: Sarah Bechaalany.
Keystone (18.12.2019)

Seit der grünen Welle ist es erfolgversprechender, den Grünen oder der GLP beizutreten. So wurdekürzlichdie Grüne Sarah Bechaalany mit 28 Jahren zur jüngsten Bundesrichterin der Geschichte gewählt. Eigentlich gilt Erfahrung als Voraussetzung für ein Amt am höchsten Gericht. Wichtiger ist aber die richtige Parteizugehörigkeit zur richtigen Zeit. Mit der Justizinitiative soll die Pflicht zur Parteibindung aufgehoben werden. Alle Parteien sind dagegen.

Casanova sagt: «Die Parteien haben ein doppeltes Interesse am heutigen Wahlverfahren.» Sie seien einerseits auf die Mandatsabgaben angewiesen. Andererseits wollten sie diese Posten vergeben, um für potenzielle Interessenten attraktiv zu sein sowie Einfluss ausüben zu können. Man sage zwar immer, die Partei spiele keine Rolle mehr, wenn die Richterinnen und Richter gewählt seien. Er fragt:

«Aber warum ist die Parteizugehörigkeit dann eine Voraussetzung?»