
Die Technik hat das Problem geschaffen, die Technik muss es lösen
Letztes Jahr wurde in Bern ein Kita-Mitarbeiter verhaftet, dem vorgeworfen wird, sich an 15 Kindern vergriffen zu haben. Wer nun fragt: ‹Warum hat die Kita das nicht verhindert?›, sollte sich vergegenwärtigen, was seit Jahren in der digitalen Welt abläuft. Wenn dort Kinderpornos aufgeschaltet werden, werden bestenfalls die Konsumenten bestraft, kaum je können die Täter dingfest gemacht werden – oder wird die Plattform belangt, auf der es geschah.
25 Jahre ist es her, seit in der Schweiz via Swisscom das Internet für alle zugänglich wurde. Seit Beginn werden Provider vom Bundesamt für Polizei aufgefordert, kriminelle Seiten zu sperren. Doch schädliche Filme und schlimme Texte sind längst nicht mehr auf einzelnen Internetseiten zu finden. Sie ploppen auf Tiktok auf, erscheinen in einem Whatsapp-Gruppenchat, man erhält sie auf Youtube vorgeschlagen und stösst mit googeln unversehens darauf.
Noch immer finden gerade die Anbieter von Social Media, sie seien nicht verantwortlich für die dortigen Inhalte. Als wäre jemand, der seinen Vorgarten zur Verfügung stellt, nicht verantwortlich dafür, ob dort ein Bazar stattfindet oder ein Wettschiessen. Erstaunlich lange konnte uns Facebook und Co. irgendwie glauben machen, unter Meinungsfreiheit würden auch üble Nachrede, Verleumdungen, Beschimpfungen, Drohungen, sexuelle Belästigung oder Gewaltdarstellungen fallen. Falls doch nicht, müssten die Opfer halt selber für Recht sorgen.
Der Änderungswille ist da – und doch geschieht nichts
25 Jahre nach dem öffentlichen Zugang zum Internet gehen die Länder weltweit nun die Regulierung des Internets an. Nicht nur England, wo seit Sommer ein eigenes Internet-Sicherheitsgesetz gilt. Auch in der Schweiz sollen künftig Straftaten zumindest auf den grössten Internetplattformen gemeldet werden können. Der Bundesrat hat dazu letzte Woche ein neues Meldeverfahren vorgeschlagen.
In Australien ist ab dem 10. Dezember der Social-Media-Zugang erst ab 16 Jahren erlaubt. Die EU-Länder haben sich im Oktober ebenfalls für eine Altersgrenze ausgesprochen.
Dass Plattformen sehr wohl dafür verantwortlich gemacht werden können, was dort geschieht oder dass sie es zumindest zu verhindern versuchen müssen, ist also beinahe schon internationaler Konsens. Nur hat noch niemand eine einfache technische Lösung dafür. «Technisch halt noch nicht umsetzbar» ist daher die Erklärung, warum in der Schweiz nicht vorwärts gemacht wird mit dem ohnehin zahmen Gesetz: Kleinere Plattformen und ChatGPT sind beispielsweise ausgenommen, es ist nicht garantiert, dass gemeldete Inhalte dann auch wirklich gelöscht werden und Fake News sind von der Regelung sowieso ausgenommen. Das Gesetz soll frühestens 2029 in Kraft treten.
Auch wann in den EU-Ländern die beabsichtigte Altersgrenze gelten wird, steht noch in den Sternen. Eine Verifizierungs-App ist erst in Bearbeitung.
Algorithmen können auch hier helfen
Man hatte das technische Knowhow, um all diese Online-Dienste mit Raffinessen auszustatten, welche das einzige Ziel haben, uns länger und noch länger da verweilen zu lassen. Aber das Knowhow soll fehlen, um Minderjährige von ebendiesen Plattformen fernzuhalten? Oder um Hassrede nicht öfter im Social-Media-Kanal anzuzeigen, sondern weniger?
«Das geht technisch halt nicht», ist wirklich das lächerlichste Argument in dieser ganzen Diskussion.
Während man in Australien bislang die Alterslimite schlicht durch eine falsche Angabe umgehen konnte, soll nun Künstliche Intelligenz das Alter der User anhand ihres Verhaltens erkennen. Dass das funktioniert, überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass Chat-Bots sich längst an ihre Nutzer anpassen, oder dass die Algorithmen der Plattformen erkennen, welche Vorlieben man hat.
Aber es ist wie immer, wenn KI ein Problem lösen soll: Es ist gut, aber nicht perfekt. Da werden in Australien wohl künftig 50-Jährige gesperrt und 10-Jährigen wird der Zugang gewährt.
Es ist ein Anfang. Der Aufwand, der den Plattformen und auch dem Staat damit entsteht, kann jedenfalls kein Argument sein, die Möglichkeiten zur Regulierung nicht zu ergreifen. Es macht einfach keinen Sinn, nur darüber nachzudenken, wie man Teenager dazu bringen kann, beim Skifahren einen Helm zu tragen. Aber nicht darüber, wie auch die Online-Welt sicherer werden kann.
Die Technik hat das Problem geschaffen. Jetzt soll sie es lösen.




