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Schreibfehler, blaues Auge und Geheimplan: Die fünf dramatischsten Bundesratswahlen 

Am Mittwoch wählt das Parlament zwei neue Mitglieder der Landesregierung. Ein Blick zurück in historischen Videos und Bilder zeigt: Bundesratswahlen haben immer wieder für Spannung, Dramatik und Überraschungen gesorgt.

Brunner, Dreifuss und die Wut der Frauen

Die Ausgangslage: Am 13. Januar 1993 kündigte SP-Aussenminister René Felber seinen Rücktritt per Ende März an. Die Ersatzwahl wurde auf den 3. März festgelegt. Der Sitzanspruch der SP als zweitstärkste Partei war unbestritten. Für die Sozialdemokraten war klar: Auf Felber soll eine Frau folgen. Bei der letzten SP-Vakanz hatte die bürgerliche Parlamentsmehrheit der offiziellen SP-Kandidatin Liliane Uchtenhagen die Wahl verweigert und stattdessen Otto Stich zum Bundesrat gewählt. Das sollte sich nicht wiederholen.

Die Kandidierenden: Die SP nominierte am 28. Januar die Genfer Nationalrätin und Gewerkschafterin Christiane Brunner als einzige Kandidatin. Nicht nominiert wurde der Neuenburger SP-Regierungs- und Nationalrat Francis Matthey. Die damals 45-jährige Christiane Brunner war eine der Organisatorinnen des Frauenstreiks von 1991. Die pointiert links politisierende Genferin war als geschiedene Frau mit einer Patchwork-Familie für viele Bürgerliche ein rotes Tuch. Eine Negativkampagne gegen Brunner nahm teilweise frauenfeindliche Züge an. So kursierte in der Woche vor der Wahl im Bundeshaus ein anonymer Brief. Darin stand die haltlose Behauptung, es existierten Nacktfotos von Brunner.

Die Wahl: Bei der Wahl am 3. März schafft Francis Matthey im zweiten Wahlgang mit 130 Stimmen gegenüber Brunner mit 108 Stimmen das absolute Mehr. Matthey erbittet sich Bedenkzeit, um mit seiner Partei zu beraten. Das Parlament beschliesst, Mattheys Entscheidung eine Woche später, am 10. März 1993, anzuhören und im Falle einer Absage Mattheys eine neue Wahl anzusetzen. Die Nichtwahl von Christiane Brunner erzürnt viele Frauen im ganzen Land.

Francis Matthey Sekunden nach seiner Wahl zum Bundesrat. Im Hintergrund drängen sich Fotografen um Christiane Brunner.
Bild: Keystone / Alessandro Della Valle

Die SP-Fraktion votiert klar dafür, dass Matthey die Wahl nicht annehmen soll. Für die Sozialdemokraten und das ganze Land beginnt eine dramatische Woche. Die SP-Spitze um Parteichef Peter Bodenmann macht Druck auf Matthey für einen Verzicht. Gleichzeitig sondiert sie bei den anderen Bundesratsparteien.

Demonstration für Christiane Brunner vor dem Bundeshaus am 10. März 1993.
Bild: Keystone

Am Montag 8. März schliesslich entscheidet die SP-Fraktion, an der Kandidatur von Christiane Brunner festzuhalten. Allerdings nominiert die SP neben Brunner die Gewerkschafterin Ruth Dreifuss. Am Wahltag des 10. März hatten sich rund zehntausend Demonstrantinnen aus dem ganzen Land vor dem Bundeshaus eingefunden, um ihre Unterstützung für Brunner kundzutun. Drinnen erklärt Matthey, dass er die Wahl ablehnt. Schliesslich wurde Dreifuss im dritten Wahlgang gewählt. Auf dem Bundesplatz wurde Brunner trotz der bitteren Niederlage von den Tausenden Demonstrantinnen gefeiert.

Der Schreibfehler, der eine Bundesratswahl entschied

Die Ausgangslage: Anfang 1999, weniger als zehn Monate vor den eidgenössischen Wahlen, kündigten die beiden CVP-Bundesratsmitglieder Arnold Koller und Flavio Cotti ihren Rücktritt per Ende März an. Das Manöver sollte die beiden Regierungssitze der Partei sichern, die schon länger unter Wählerschwund litt.

Rita Roos (l.) und Ruth Metzler am 20. Februar 1999 im Bundeshaus.
Bild: Keystone / Lukas Lehmann

Die Kandidatinnen: Den frei werdenden Bundesratssitz von Arnold Koller wollte die CVP mit einer Frau besetzen. Sie nominierte die 47-jährige St.Galler Volkswirtschaftsdirektorin Rita Roos sowie die erst 34-jährige Ruth Metzler, Finanzdirektorin des Kantons Appenzell-Innerrhoden.

Die Wahl: Die beiden offiziellen Kandidatinnen liegen während den ersten drei Wahlgängen nahe beieinander. Erst im vierten Wahlgang schafft Ruth Metzler mit 126 Stimmen gegen die 118 Stimmen für Rita Roos das absolute Mehr. Möglicherweise hat sie ihre Wahl einem Schreibfehler zu verdanken. Im dritten Wahlgang steht auf einem Wahlzettel der Name Roth. Die Stimme wird für ungültig erklärt, da nicht klar ist, ob sie Rita Roos gilt oder Jean-François Roth, einem der inoffiziellen Kandidaten für die Nachfolge von Flavio Cotti. Wäre die Stimme Rita Roos zugeschrieben worden, hätte sie im dritten Wahlgang das absolute Mehr von 123 Stimmen geschafft – und wäre anstelle von Metzler Bundesrätin geworden.

Der Triumph des Christoph Blocher, und das Drama der Ruth Metzler

Die Ausgangslage: Bei den eidgenössischen Wahlen vom 19. Oktober 2003 wurde die SVP mit 26,7 Prozent Wähleranteil erstmals die klar stärkste Kraft. Die CVP (heute: Die Mitte) hingegen verlor zum sechsten Mal in Folge Wähleranteile und kam noch auf 14,4 Prozent. Damit bildete die Zauberformel aus dem Jahr 1959 für die Zusammensetzung des Bundesrats (je zwei Sitze für SP, CVP, FDP, einen für die SVP) die Parteistärken endgültig nicht mehr korrekt ab.

Der Kandidat: Noch am Wahlabend forderte der damalige Parteipräsident Ueli Maurer in der «Elefantenrunde» der Parteichefs im Schweizer Fernsehen ultimativ einen zweiten Bundesratssitz für die SVP, zusätzlich zu jenem von Verteidigungsminister Samuel Schmid. Und stellte klar: Der zweite Kandidat ist Christoph Blocher. Wird Blocher nicht gemeinsam mit Schmid in die Regierung gewählt, so sei die SVP nicht mehr im Bundesrat vertreten, sagte Maurer. Und drohte den verdutzen Vertretern der anderen Bundesratsparteien: «Dann haben sie mit uns als Opposition zu rechnen».

Christoph Blocher, der damals 63-jährige milliardenschwere Unternehmer und unbestrittene Anführer der SVP, war für viele seiner politischen Gegner ein rotes Tuch. Ein Bundesrat Blocher war nicht nur für Linke schwer zu akzeptieren. Nicht zuletzt wegen seiner erfolgreichen Kampagne gegen einen Beitritt zum EWR 1992 war Blocher auch bei vielen Bürgerlichen schlecht gelitten. Blochers für Schweizer Verhältnisse unüblich harte Rhetorik und sein dominantes Auftreten weckten Zweifel, ob er als Mitglied der Kollegialbehörde Bundesrat geeignet ist.

Die soeben abgewählte Justizministerin Ruth Metzler (CVP) schreitet unter den Blicken der Mitglieder der SVP-Bundeshausfraktion vorbei ans Rednerpult.
Keystone / Karl-Heinz Hug

Die Wahl: Vor den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats am 10. Dezember 2003 anerkennt lediglich die FDP den Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz. Die CVP als schwächste Bundesratspartei tritt mit ihren beiden amtierenden Bundesratsmitgliedern Joseph Deiss und Ruth Metzler zur Wahl an. Metzlers Sitz steht zuerst zur Wahl. Im ersten Wahlgang liegen Ruth Metzler und Christoph Blocher mit je 116 Stimmen gleichauf. Doch in der Folge kann Blocher seine Stimmenzahl ausbauen. Im dritten Wahlgang schliesslich sichert sich Blocher mit 121 Stimmen gegenüber Metzlers 116 Stimmen das absolute Mehr und zieht in den Bundesrat ein. Die CVP will ihre beiden bisherigen Bundesratsmitglieder nicht gegeneinander antreten lassen. Nach der Wahl Blochers wird Joseph Deiss ungefährdet wiedergewählt. Ruth Metzler hingegen verpasst als erstes Bundesratsmitglied seit fast 130 Jahren die Wiederwahl.

Der Geheimplan gegen Christoph Blocher

Die Ausgangslage: Seit seiner Wahl vor vier Jahren sass SVP-Übervater Christoph Blocher als Justizminister im Bundesrat. Die SVP setzte im Wahlkampf voll auf ihr Zugpferd. «SVP wählen – Blocher stärken», so lautete ihr Slogan, der auf Plakaten im ganzen Land zu sehen war. Mit 29 Prozent Wähleranteil erzielte die SVP am 21. Oktober 2007 das beste Wahlergebnis einer Partei seit Einführung des Proporzwahlrechts im Jahr 1919.

Doch in den Augen seiner Kritiker hatte Blocher als Bundesrat wichtige Prinzipien der Schweizer Demokratie verletzt. Er spielte ein Doppelspiel als Regierungsmitglied und Oppositionsführer. Immer wieder distanzierte er sich entgegen den Gepflogenheiten des Kollegialitätsprinzip in der Öffentlichkeit von den Entscheiden des Bundesrats. Auch wurde ihm Missachtung der Gewaltenteilung und mangelnder Respekt vor dem Parlament vorgeworfen. In den anderen Parteien, insbesondere bei CVP und SP, machte man sich Überlegungen, wie man Blocher aus der Regierung abwählen könnte. Die Überlegung: Der Anspruch der SVP auf zwei Sitze soll nicht bestritten werden. Aber anstelle von Blocher sollte ein anderes SVP-Mitglied gewählt werden, dass das Kollegialitätsprinzip respektieren würde.

Gerüchte über einen Plan zur Abwahl von Christoph Blocher hatten schon länger die Runde gemacht. Die SVP hatte erklärt, sie betrachte sich im Falle einer Nicht-Wiederwahl Blochers als Oppositionspartei. Parteimitgliedern, welche die Wahl in den Bundesrat annehmen würden, drohte sie mit dem Ausschluss aus der Fraktion.

Die Kandidatin: Bis am 12. Dezember 2007, dem Tag der Gesamterneuerungswahlen, war ihr Name ausserhalb ihres Heimatkantons nur politisch Interessierten geläufig: Eveline Widmer-Schlumpf, damals 51-jährige Bündner SVP-Finanzdirektorin, seit sechs Jahren Präsidentin der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz. Sie war von einem kleinen Kreis aus Strategen aus den Partei- und Fraktionsspitzen von CVP und SP als valable Blocher-Herausfordererin identifiziert worden. Gemäss dem früheren Bündner SP-Nationalrat Andrea Hämmerle, einem der Strippenzieher der Wahl, nahm er erst fünf Tage vor der Wahl mit Widmer-Schlumpf Kontakt auf.

Eveline Widmer-Schlumpf am 13. Dezember 2007 bei ihrer Vereidigung.
Keystone / Peter Klaunzer

Die Wahl: Der Name Widmer-Schlumpf bleibt bis zum Morgen der Wahl geheim. Dann erklären die Fraktionen der SP und der Grünen, die Bündnerin zu wählen. Die CVP-Fraktion erklärt, eine Mehrheit ihrer Mitglieder werde nicht für Christoph Blocher stimmen. Bereits im zweiten Wahlgang erreicht Widmer-Schlumpf mit 125 gegenüber 116 Stimmen für Christoph Blocher das absolute Mehr.

Die in den Bundesrat gewählte Widmer-Schlumpf erbittet sich 24 Stunden Bedenkzeit. «Wie andere, so bin auch ich gestern von den Ereignissen überrascht worden», erklärte sie am Donnerstag, 13. Dezember, im Parlament. Trotz Druckversuchen der SVP nimmt sie die Wahl an.

Christoph Blocher reagiert mit einer zornigen Rede vor der Bundesverwaltung auf seine Abwahl: «Leistungsausweis, Volkswillen, Volkswohl – das war auf keinen Fall das Motiv dieser Wahl, sondern es sollte etwas unterdrückt werden.»

Der Beinahe-Bundesrat mit dem blauen Auge

Die Ausgangslage: Nach der Wahl Widmer-Schlumpf betrachtete sich die SVP nicht länger als Bundesratspartei. Die als SVP-Mitglieder in die Regierung gewählten Samuel Schmid und Eveline Widmer-Schlumpf wurden aus der Fraktion ausgeschlossen. Widmer-Schlumpf wurde gemeinsam mit der gesamten Bündner Kantonalsektion aus der SVP Schweiz ausgeschlossen. Es kam innerhalb der Partei zu schweren Konflikten. Diese mündeten 2008 in die Neugründung der BDP. Sie setzte sich vor allem aus ehemaligen SVP-Mitgliedern aus den Kantonen Bern, Graubünden und Glarus zusammen, die mit dem Kurs der SVP unzufrieden waren. Auch Widmer-Schlumpf und Schmid wurden BDP-Mitglieder.

Ueli Maurer (vorne) am Tag seiner Wahl im Gespräch mit Hansjörg Walter (r.) und SVP-Präsident Toni Brunner (2.v.r.).
Bild: Keystone / Peter Klaunzer

Am 12. November 2008 erklärte Verteidigungsminister Samuel Schmid, der unter gesundheitlichen Problemen litt, seinen Rücktritt auf Ende Jahr. Die SVP, seit rund einem Jahr nach eigener Ansicht nicht mehr im Bundesrat vertreten, erhob umgehend Anspruch auf den Sitz.

Die Kandidaten: Am 27. November präsentierte die SVP-Bundeshausfraktion ein Zweierticket, bestehend aus dem abgewählten Bundesrat Christoph Blocher und dem langjährigen Parteipräsidenten und Nationalrat Ueli Maurer. Es galt als äusserst unwahrscheinlich, dass das gleiche Parlament, das Blocher vor weniger als 12 Monaten abgewählt hatte, den Herrliberger wieder in den Bundesrat hieven würde.

Maurer wurde als absolut linientreue, aber für das Parlament akzeptable Alternative zu Blocher nominiert. Doch auch Maurer stiess auf Ablehnung: Unter seiner Führung als Parteipräsident (1996-2008) hatte die SVP mit provozierenden Plakatkampagnen für viele die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Im Parlament machte deshalb der Name des Thurgauer SVP-Nationalrats und Präsidenten des Bauernverbands, Hansjörg Walter, die Runde. Den prominentesten Kopf des bäuerlichen Flügels würde die SVP nicht einfach aus der Partei ausschliessen können, spekulierten manche.

Ein schwerer Tag: Hansjörg Walter während der Bundesratswahl vom 10. Dezember 2008.
Bild: Keystone / Peter Klaunzer

Die Wahl: Während der «Nacht der langen Messer» am Vorabend der Wahl vom 10. Dezember 2008 wird Bauernpräsident Hansjörg Walter in Begleitung der SVP-Parteispitze im Hotel Bellevue direkt neben dem Bundeshaus gesichtet. Bemerkenswert: Walters linkes Auge ist blau angeschwollen, als sei er geschlagen worden. Doch das blaue Auge stammt von einem Unfall. Die SVP-Granden holen sich bei Walter – selbstverständlich völlig gewaltfrei – die Zusicherung ein, dass er eine Wahl nicht annehmen werde. Zuvor hat sich Walter dazu nie klar positioniert.

Am Wahltag erklärt er vor dem Parlament, dass er nicht zur Verfügung stehe. Doch Walter tut sich schwer, wie er später gegenüber «10 vor 10» erklärte. Um ein Haar wird Walter Bundesrat. Im dritten Wahlgang wird der offizielle SVP-Kandidat Ueli Maurer mit 122 Stimmen gegen Hansjörg Walter mit 121 hauchdünn zum Bundesrat gewählt. Wie Bauernpräsident Walter erklärt, hat er seine Stimme Ueli Maurer gegeben. Hätte Walter seinen eigenen Namen auf den Zettel geschrieben, wäre er statt Maurer Bundesrat geworden.