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Erdbeben in der Türkei: Gedenken an Zehntausende Tote

Vor einem Jahr erschütterten schwere Erdbeben die Türkei und das Nachbarland Syrien, Zehntausende Menschen starben. Mehr als eine halbe Million Überlebende müssen bis heute in Notunterkünften hausen.

Ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Nordsyrien haben die Menschen am Dienstag der Zehntausenden Toten gedacht. In der am stärksten betroffenen südosttürkischen Provinz Hatay erinnerten Anwohner um 4.17 Uhr (Ortszeit) an die Opfer – just zu jenem Zeitpunkt, an dem das erste schwere Beben die Region vor einem Jahr erschüttert hatte.

In der Stadt Antakya riefen Menschen im Chor: «Hört jemand unsere Stimmen?» – den Satz hatten auch Retter vor einem Jahr gerufen, als sie tagelang nach Verschütteten suchten. Heute steht er dafür, dass sich viele Überlebende in der Region ignoriert und ihrem Schicksal überlassen fühlen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird am Dienstag in der ebenfalls vom Beben getroffenen Provinz Kahramanmaras erwartet.

Am 6. Februar hatte am frühen Morgen ein Beben der Stärke 7,7 den Südosten der Türkei getroffen, ein weiteres Beben der Stärke 7,6 folgte am Nachmittag desselben Tages. Allein in der Türkei kamen nach Regierungsangaben mehr als 53 000 Menschen ums Leben. Genaue Angaben zu den Opfern aus dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Nachbarland Syrien sind schwer zu ermitteln. Unbestätigten Informationen zufolge könnten dort mehr als 6000 Menschen gestorben sein.

In Antakya entzündeten Menschen Kerzen auf den Ruinen der zerstörten Gebäude in Gedenken an die dort Getöteten und warfen rote Nelken in den Fluss der Stadt. Menschen aus dem ganzen Land waren zum Jahrestag in die Region gereist, wie etwa der 43-jährige Ali. Mehrere seiner Verwandten seien in einem Wohnhaus im Zentrum Antakyas ums Leben gekommen. Zum Jahrestag sei er darum aus Istanbul angereist.

Noch immer leiden die Menschen unter den Folgen

Präsident Erdogan hatte versprochen, den schnellen Wiederaufbau in der Region voranzutreiben. Doch die Menschen vor Ort leiden noch immer stark unter den Folgen des Bebens. Sie klagen über fehlende Hilfen wie Lebensmittel- oder Kleiderspenden. In einem Containerdorf in Karacay erzählen die Bewohner, sie seien abhängig von der Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen. Auch die Wasserversorgung breche immer wieder ab, berichten Menschen aus der Kleinstadt Kirikhan.

Bei der Gedenkfeier in Antakya wurde die Regierung immer wieder ausgebuht. Gesundheitsminister Fahrettin Koca von der regierenden AK-Partei hielt seine Rede begleitet von lauten Pfiffen. Auch Provinzbürgermeister Lütfü Savas von der – auf Landesebene grössten Oppositionspartei – CHP wurde im Chor zum Rücktritt aufgefordert. Teilweise wurden die Regierungsverantwortlichen als «Mörder» bezeichnet, die zur Rechenschaft gezogen werden müssten.

Leben im Container

In der Türkei sind Behördenangaben zufolge fast 700 000 Menschen in Containern untergebracht. Auch wenn die Regierung offiziell angibt, dass Zeltstädte aufgelöst worden seien, lebt noch eine unbekannte Anzahl von Menschen in Zelten. Jedes dritte Kind, das in der Erdbebenregion in der Türkei obdachlos geworden ist, lebt nach Angaben von Save the Children noch heute in einer Notunterkunft. Die Kinderrechtsorganisation weist zudem darauf hin, dass sowohl in der Türkei als auch in Syrien viele Kinder mit Ängsten und psychischen Problemen zu kämpfen hätten.

Wegen der weitreichenden Zerstörung sind viele Menschen in der Region arbeitslos geworden, ihnen fehlt dadurch selbst das Geld fürs Nötigste. Gleichzeitig boomt der Bausektor vor Ort und zieht zahlreiche Arbeitskräfte aus dem ganzen Land in die Region. Erdogan reiste am Wochenende in die Region und weihte öffentlichkeitswirksam neue Gebäude ein. Zum Jahrestag wurde er erneut in der Region erwartet.

Der Präsident und seine Regierung standen nach dem Beben schwer in der Kritik, ihnen wurden unter anderem Fehler beim Krisenmanagement vorgeworfen. Zudem gerieten sogenannte Schwarzbauten in den Fokus, die illegal errichtet und dann später von der Regierung legalisiert worden waren. Erdogans Beliebtheit tat das kaum Abbruch, er wurde im Mai vergangenen Jahres nach 20 Jahren an der Macht als Präsident wiedergewählt. Ende März stehen Kommunalwahlen an. (dpa)